Liegeradtour entlang der Alpenflüsse Rhein und Inn |
vom 29. Juli bis 10. August 1999 http://www.solarserver.de/inn/index.htm Formatierung mit CSS 2.0 |
Donnerstag, 29.Juli 1999 |
Top 92,4 km Tübingen - Bingen |
Gut gefrühstückt starten wir um 8.15 voller Elan in das Fahrradabenteuer 99. Um kurz hinter Tübingen nach 6 km festzustellen, daß der Tacho nicht funktioniert. Edi repariert ihn und frägt harmlos: " Haben wir die Regenjacken dabei?" Haben wir nicht! Vergessen - und deshalb zurück. Jetzt mißt der Tacho die Strecke, 6,4 km zweimal umsonst.Nachdem wir auch den Hausschlüssel vergesssen hatten, sind wir froh, daß unsere Sommergäste Gen und Cyrill noch zu Hause sind. Kommentar Cyrill: "Die sind kriegsentscheidend." Der Tag fing ja gut an.
Beim zweiten Versuch starten wir eine etwas andere Route durch den Rammert, bergauf, bergab Richtung Ofterdingen, Mössingen, Belsen, über den Tiroler Kopf nach Beuren. Damit haben wir die Schwäbische Alb erklommen und ein schöner Blick über das Neckartal und den Dreifürstenstein belohnt uns für den morgendlichen "Paß".
Schlatt, Starzach, Killertal und ab Burladingen fahren wir immer im Laucherttal. Im wunderschönen Lauchterttal lassen wir uns zu einer Mittagsrast nieder, ruhen uns kräftig aus und erfrischen unsere Füße in der kalten Lauchert. Wir folgen dem Radweg Nr. 4, der uns dann aber unsanft 200 Höhenmeter nach Hochberg führt, ein kleiner Ort, der leider keine Gastronomie hat. Die Abfahrt nach Bingen entlohnt unsere Anstrengung. In Bingen versuchen wir, zwischen all den Pubs, Bistros und Tequila-Kneipen ein geeignetes Lokal zum Abendessen zu finden. Nach einigen Fehlschlägen landen wir in der Pizzeria des Hohenzollern-Hotels. Das Wetter war bisher genau richtig, sonnig und warm, aber nicht schwül und drückend, kein Regen, nur freundliche Wolken. Der Fahrradtag klingt um 21.30 aus, hinter Bingen auf einer gemähten Wiese, wir machen ein kleines Feuerchen und gehen gleich schlafen. Es liegen auch 92,4 km hinter uns.
Freitag, 30.Juli 1999 |
Top 74,6 km Bingen - Wolfegg |
Wir starten früh, 7.30 h und folgen weiter dem Lauchert-Radweg, der in Sigmaringen-Dorf
endet. Von dort biegen wir in den Wildpark Josefslust und machen in einer
kleinen Waldlichtung mit Bank eine schöne Morgenrast mit Frühstück.
Leider bleibt hier die schöne weiße Fahrradmütze von Edi für immer liegen.Bei
tollem Wetter geht's weiter nach Ablach und auf schmalen Sträßchen durch das Andelsbachtal,
wunderschöne Heufelder und schattenspendende Alleen führen an der Gaugel-Mühle,
Mors-Mühle und der Kuglers-Mühle vorbei.
Die Mittagsrast gibt's dann an einem moorigen, kleinen ehemaligen Torf-Abbau-Weiher kurz vor Riedhausen, Im Pfrungener Ried.
Wir baden genüßlich und während Edi weit in den völlig menschenleeren See hinaus schwimmt, erinnert uns ein Aufseher, daß wir hier weder campen noch lagern dürfen. Er akzeptiert aber unseren Wunsch nach einer erholsamen Rast.
Nach drei Stunden geht's weiter Richtung Weingarten, über die leicht hügelige Moränenlandschaft durch Fronhofen und Baienbach. Damit haben wir eine der einsamsten oberschwäbischen Landschaften durchquert.
In Riedhausen konnten wir sogar einen Storch auf dem Kirchturm bei der Fütterung seiner Jungen beobachten. Während der rasanten Abfahrt nach Weingarten sehen wir die herrliche Barockbasilika über dem Stadtbild thronen und finden uns bald in der netten Fußgängerzone mit schönen Stadthäusern wieder. Auf den sonnigen Höhen Weingartens in einem sehr schönen altem Haus mit Garten wohnen Moni und Werner Heinz, alte Bekannte Edis. Wir werden trotz unangemeldeten Vorbeikommen freundlichst aufgenommen. Danach suchen wir uns eine Gaststätte in der Stadt, wo wir draußen sitzen können. Im Straßencafe der Fußgängerzone serviert ein Kellner, der lustig feixt: "Alle wissen, wann ich essen möchte!" Es kommen verstärkt Gäste, nämlich drei. Nervlich zwar am Ende, war der Service trotzdem gut.
Danach geht es ziemlich steil geradewegs auf den Butzenberg, wo wir ein schönes Plätzchen für unser Zelt suchen. Und tatsächlich, auf einer gemähten Wiese hoch oben stehen bereits zwei Zelte, allerdings auf einem Privatgrundstück, und die dort stattfindende Party ist leider nicht die unsere. Wir beschließen daher, weiterzuziehen, die schönen Höhenmeter hinter uns lassend.
Wir fahren weiter Richtung Kisslegg und tief im Wald des Fürsten finden wir auf weichem Feengras einen ruhigen Platz, das Zelt auf sehr weichem Untergrund aufzustellen. Daneben entzückt auch ein Bächlein unser romantisches Gemüt. Bedingt durch das Gewässer hat es aber Milliarden von Stechmücken, deshalb schnell schnell das Zelt aufbauen. Edi versucht, ein kleines Feuer zum Räuchern der Mücken zu entfachen, aber es hilft kaum.
Plötzlich - es dunkelt schon - hören wir das Klappern von Hufen und auf dem Damm des Waldwegs nähert sich eine Kutsche. Wenn das der Büttel des Fürsten ist, dann aber schnell Feuer aus und die bereits gefüllte Teekanne erlischt die kleine Glut. Die Pferde riechen aber wohl den Rauch und beginnen im Galopp, dem Kutscher mächtig Angst einzujagen, der alle Not hat, die Pferde vor dem Durchgehen zu bremsen. Auch wir sind froh, daß sowohl Pferde wie Kutscher an uns vorbei sind.
Als wir im Zelt unsere Stiche zählen - hören wir wieder die Kutsche. Der Kutscher will den Pferden wohl zeigen, daß man diese Stelle auch in Ruhe passieren kann. Danach tiefe Stille und wir schlafen fest in unserem, moskitofreiem Innenzelt. Bevor wir in die Träume entschlummern, meint Anne noch: "Der Deichgraf kommt ein drittes Mal - mit dem Hackebeil." Tagespensum: 74,6 km
Samstag, 31.Juli 1999 | Top 30km Wolfegg - Isny |
Leise trabt ein morgendlicher Jogger auf dem mysteriösen Waldweg an unserem Zelt vorbei, und wir erwachen um halb acht morgens und frühstücken natürlich unser geliebtes Weetabix mit heißer Milch. Dann den Mücken ins Auge sehen... Es schwirrt und summt wie in einem Bienenstock. Heidelbeeren pflücken, die Sonne scheint, Monobißfrucht, Multibißfrucht, Multifruchtbiß, so sortiert Edi die Früchte der Welt. Heidelbeeren, zusammen mit Walderdbeeren als Multifruchtbiß, Kirsche, Pflaume als Monobißfrucht und Banane, Apfel und Birne natürlich dann als Multibißfrucht.
Wir haben uns dem Kampf mit dem Mücken erfolgreich gestellt, indem wir den mückenintensiven Waldweg zügig durchradeln. Heute haben wir keine große Strecke vor uns, nur bis Isny. Allerdings liegen dazwischen noch einige kräftige Hügel und tiefe Täler. In wunderbaren Pausen genießen wir das Allgäu mit seinen grünen Panoramen, leider ist es etwas diesig und die Alpen lassen sich nur erahnen. Im sonnig warmen Wetter geht es über Wolfegg, Kisslegg nach Göttlishofen, zu jenem verträumten Schulhaus, in dem Edis frühere Wohngemeinschaft ihren Sitz hatte. Heute lebt ein ehemaliger Studienkollege mit seinen acht Kindern, Frau und Marktingagentur in diesem um einen Anbau erweiterten Gebäude.
Auf den letzten zehn Kilometern nach Isny die Erinnerung, daß Edi diese Strecke drei Jahre lang fast täglich zur Fachhochschule in Isny zurückgelegt hat. Hier hat sich das Allgäu kaum verändert, ganz anders wie Isny, das durch einen gewerbeorientierten Bürgermeister eine vollständig veränderte Straßenführung und neuerdings einer großen Fußgängerzone nach fast zwanzig Jahren kaum wiederzuerkennen ist. Da waren wir, doch wo wohnt unsere Gastgeberin Traudl? Schlauerweise hatten wir doch nur die Telefonnummer, und Traudl ist doch umgezogen. Telefonieren, Anrufbeantworter.
Also erstmal Kässpätzle in der Fußgängerzone beim Schwarzen Adler essen. Nochmal ein Versuch, jetzt erreichen wir sie. Sie mußte auf das Goldne Hochzeitsessen ihrer Eltern. In ihrer wunderbaren Wohnung am Ortsrand Isnys mit Blick aufs Moor werden wir zum Tee empfangen. Ausspannen und die wirklich geschmackvolle Einrichtung bewundern, da sollte mal ein "Schöner Wohnen" Reporter vorbeikommen, sie wurde zum Großteil von ihrem Bruder selbst geschreinert. Am Abend das traditionelle Hoffest der Firma Zebris, zu dem uns Wolfgang Brunner persönlich eingeladen hat. Nach dem reichhaltigen Buffet und so manchem Getränk, lassen die über fünfzig Mückenstiche aus dem Fürstenwald Anne doch nicht ruhig schlafen.
Sonntag, 1.August 1999 |
Top 121km Isny - Sargans |
Ausgedehntes, tolles Frühstück bei Traudl. Das war nun für längere Zeit das letzte ruhige Schlafgemach mit einem noblen Frühstück. Um 10.15 h starten wir gemeinsam mit Traudl in Richtung Wangen. Traudl kennt einen Spezial-Schleichweg in echter Islandqualität. Es geht zum Teil nur einspurig durch ein Moorgebiet zwischen Isny und Eisenharz. Da es in den letzten Tagen wohl auch mal geregnet hat, ist der Boden manchmal ganz schön weich. Kurz vor Eisenharz verabschieden wir uns von Traudl und rollen auf schmalen Bauernwegen durch Gießen nach Wangen.
Hier beginnt der ausgeschilderte Radweg nach Lindau, dem wir frohen Mutes gerne folgen. Bis an einer Abzweigung nicht ersichtlich wird, ob links oder rechts. Wir entscheiden uns für rechts, wie auch ein anderes Radtouristenpärchen, dies bezahlen wir mit einigen weniger schönen Kilometern auf der Bundesstraße B 12 nach Lindau, die allerdings von der parallel laufenden Autobahn A 96 gut entlastet wird. Am Schluß geht es in einer Schußfahrt hinab nach Lindau.
Auf der Insel ist an diesem Sonntagmittag bereits ein gewaltiges Gewimmel an Ausflugstouristen. Wir lassen uns auf der Insel auf der Uferpromenade auf einem netten Holzbänkchen nieder und genießen bei der Mittagsrast das reichhaltige Proviant, das uns Traudl mitgegeben hat. Es ist immer wieder amüsant anzusehen, wie einzelne Feriengäste an der Promenade ihre Schönheit der Menschheit offenbaren, andere sich in wichtige Diskussionen über den Sinn und Unsinn vertiefen.
Danach geht es entlang des Bodensees, ein zwar vollständiger Radweg um den See, jedoch völlig überfüllt mit der tretenden Bevölkerung Lindaus, die nach Bregenz strebt und der uns aus Bregenz entgegenkommenden Veloschar, die wohl Lindau in Kürze besuchen werden. Zudem führt dieser Radweg direkt durch Strandbäder, links und rechts dicht an dicht Badetücher, eingeölte Menschen und die Schönen aller Nationalitäten im Badedress. Wirklich eng wird es bei Bregenz, wo das betonierte Bodenseeufer hinter einer niedrigen Mauer in Uferpromenande gleich Radweg übergeht, gefolgt von einem ca. 120 cm breiten Rasenstreifen, der durch längsgelegte Badetücher kaum sichtbar wird, einem Zaun, dahinter die zweispurige internationale Bahnstrecke nach Italien, auf der noch das Schwemmholz des Frühjahrhochwassers lagert. Dann abermals ein Zaun, ein schmaler Bürgersteig, die Bundesstraße und dahinter die ersten Geschäftshäuser von Bregenz. Zum Glück wurde in diesem Bereich zumindest die Autobahn in einen Tunnel verbannt (Pfändertunnel).
Hinter Bregenz wird es rasch ruhiger, eine der seltenen Fahrradweg-Umleitungen zeigt uns eine Route, die nicht vom Bodensee-Hochwasser beschädigt wurde und nach einer Weile geht es gemütlich Richtung Rorschach zum Rhein. Nach Erreichen des Rheins biegen wir links ab und folgen diesem Fluß in den nächsten Tagen. Ein komfortabler Radweg begleitet den doch arg regulierten, gerade laufenden Fluß, der tief zwischen den Dämmen im Moment etwas müde vor sich hin plätschert.
Diese Route langweilt uns bald und wir biegen bei Widnau rechts ab, befinden uns jetzt endgültig in der Schweiz, ein Grenzübergang, den wir praktisch nicht wahrgenommen haben und folgen einem alten Kraftwerkskanal, der schon fast romantisch durch das sich nun weitende Rheintal zieht. Hier finden wir auch einen der wenigen Kanaltunnel. So schön der Weg war, so langsam kamen wir auf diesen Nebenstrecken voran und entschließen uns, auf den Rheinuferradweg zurückzukehren.
Hier ist der Weg eben und gut geteert, der Genuß kommt vor allem durch die jetzt immer mächtiger werdende Gebirgsszenerie und Höhepunkten wie den linkerhand sichtbaren Schloß von Liechtenstein in Vaduz. Als es dämmerig wird, sehen wir auf den Sandbänken des Flußufers bereits einige Schweizer mit romantischen Flußinsellagerfeuern. Manche Gruppen grüßen mit heftigem Hallo zu unseren Liegerädern den Rheindamm hinauf. Da uns noch immer fast vierzig Kilometer von unserem Ziel Chur trennen, wollen wir nur noch bis zum Campingplatz Sargans weiterrollen.
Ein Schild am Rand "Schlafen im Stroh", das scheint genau das richtige. Kein langwieriges Zeltaufbauen und nur 500 Meter bis zu einem Bauernhof. Dort lassen wir uns die Schlafgelegenheit zeigen, es handelt sich weniger um eine romantische Strohtenne, sondern vielmehr um einen fast industriellen Kuhstall, in dem einige Strohballen für durchreisende, müde und zu allem entschlossene Radler bereitliegen. Die säuberlich aufgeschichteten Decken, der Hinweis, es gibt eine Dusche und morgens ein Frühstück für nur 20 Fränkli pro Person, lassen alle Bedenken schwinden und wir wählen dieses Nachtquartier. Die Bäuerin macht uns noch darauf aufmerksam, daß heute der 1. August ist, Schweizer Nationalfeiertag. Jetzt verstehen wir auch einige größere Grillparties, herausgehängte Fähnchen und Böllerschüsse etwas besser, die gegen Abend weiter zunehmen.
Edi
schläft rasch in dem nicht unerheblichen Stallgeruch ein, während Anne
vor allem mit der immer wieder einsetzenden Geräuschentwicklung, auch
Kühe müssen aufs Klo, obwohl sie dort nicht hingehen, und dem Klappern eines
Solar-Magazins, das von zwei unternehmungslustigen Kälbchen regelmäßig gerüttelt wird,
noch sehr lange wachliegt. Immer mit dem Gedanken im Kopf, der Bauer kommt um
halb sechs und wird sein Rindvieh füttern. Diese Tagesetappe hat uns 121 km
näher an den Paß Albula gebracht.
Montag, 29.Juli 1999 | Top 74km Sargans - Thusis |
Tatsächlich,
5.30h, der Bauer fährt mit dem Trecker in die Scheune und beginnt sein Tagwerk
mit Futterverteilen und Melken. Die Nacht war hart, das Stroh zwar weich, aber
die Luft stickig und vor allem stank es entsetzlich nach Kühen. Für Anne wird
das wohl für eine Weile der letzte Versuch "Schlafen im Kuhstall" bleiben.
Das Frühstück in der bäuerlichen Küche, frische Milch! Ein außerordentlich starker
Kaffee, braucht man das um so früh morgens aufzustehen? Die Dusche und das
Frühstück lassen uns diese extreme Erfahrung dann doch in einem milderen Licht
erscheinen. Fazit: wenn wieder Strohübernachtung, dann bitte ohne Kühe.
Rasch sind wir mit dem Rad zu den kleinen Weindörfern von Jenins, Malans
aufgestiegen und genießen einige herrliche Ausblicke hinüber nach Pfäfers.
Die erste große Rast gibt es in Chur, eine Stadt, die uns mit ihren unaufdringlichen Betonhochhäusern begrüßt, im Inneren zwischen futuristem Busbahnhof und der gemütlichen Fußgängerzone einen recht emsigen Eindruck hinterläßt. Anne ist noch ziemlich groggy und deshalb mal wieder extrem langsam, so daß ein Mopedfahrer Edi in Chur auf die noch zurückgebliebende Frau aufmerksam macht und Anne den Weg zu Edi weist. Anne deckt sich nun mit einer Großpackung Marsriegel ein, die wirklich bis zum Ende der Tour reichen sollten.
Gemeinsam speisen wir aus lustigen Papphütchen Mini-Frühlingsrollen und Chicken-Nuggets zu Mittag. Weiter den Rhein aufwärts wird es hinter Reichenau sehr viel bergiger. Hier gibt es keinen Radweg, sondern nur noch die Bundesstraße 13, die allerdings durch die Nationalstraße 13 wirklich entlastet wird und den Weg durch die wilde Berglandschaft zwischen Domleschg und Heinzenberg ganz angenehm entlangführt. Der Rhein verwandelt sich in einen reißenden Fluß, der zwischen schwindelerregend steilen Felswänden hindurchrauscht.
Wir erreichen Thusis, einen Ort zum Postkartenschreiben, dahinter beginnt die Via Mala Schlucht. Der Postkartenkiosk davor ist umso gemütlicher, er bietet neben Postkarten mit Briefmarken einen Tisch zum Schreiben im Hinterhof und einen kostenlosen Patriotentrunk. Mit dieser frischen Kraft geht's weiter bergauf in die Schlucht. Durch zwei Tunnels, überall Bauarbeiten. Bei der dritten Baustelle beschließt Edi, den alten Schluchtweg zu nehmen. Wir biegen links ab und kommen auf einen alten, verwilderten Weg, der steil bergab führt
. Wunderbare Blicke in die Schlucht tun sich auf, wir sehen einen alten Brückenkopf, eine neuere Brücke quert die Schlucht. Plötzlich stehen wir vor einem Felsrutsch über den Weg, Edi schiebt beide Räder über die gefährliche Strecke, gleich danach wieder: schräger Abbruch, Wegverschüttung. Auch hier bewältigt Edi mit viel Kraft die Situation. Anne fühlt sich nicht mehr sehr wohl, denn wie viele Wegunterbrechungen wird es wohl noch geben?
Kurz
darauf stehen wir vor einem jähen Straßenende. Die Schlucht gähnt vor uns, die
Brücke liegt wohl im Rhein, der schmale Fußweg zum Berg hinauf ist indiskutabel,
höchstens was für Wanderer mit Klettererfahrung, aber nichts für Fahrräder,
die voll bepackt sind. Also: umdrehen, Berg wieder hochfahren und durch die
Tunnels bergab wieder zurück nach Thusis.
Dort gehen wir auf den Campingplatz, bauen unser Zelt auf. Heute abend
wird Zigeunerspieß mit marinniertem Rindfleisch frisch gegrillt, das ist genau
das richtige als kräftige Stärkung für den nächsten Tag. Dazu gibt es Kuchen
und Kartoffelchips in rauhen Mengen, 1,5 l Mineralwasser, Saft, ein halbes Bier,
damit wir auch gut schlafen. Rasch wird es kalt und wir legen uns schlafen.
Morgen früh solls um halb sechs losgehen. 74 Kilometer Strecke
Dienstag, 3.August 1999 | Top 69 km Thusis - St. Moritz |
Kurz vor sieben starten wir ohne Frühstück vom Zeltplatz Thusis. Zum Glück ist der Campingplatz-Wärter bereits wach und öffnet uns die zwischen 22.30 und 7.00 geschlossene Rampe, zudem gibt er uns einen nützlichen Tip, wie wir geradewegs auf die alte Bundesstraßenstrecke kommen, was allerdings das Überqueren einiger schottriger Baustellen erfordert. Die Straßenführung bei Thusis muß man sich mehr wie eine amerikanische Spaghetti-Junction vorstellen, da hier auf engstem Raum der Rhein, die N13, die B13 und einige lokale Straßen sich das enge Tal streitig machen. Hinter Thusis geht es zügig bergauf nach Alvaschein (1001 Höhenmeter) und dann in schöner Schußfahrt hinab nach Tiefencastel, nomen est omen, 851 Meter tief. Da Tiefencastel durch die sommerlichen Bauarbeiten nicht gerade ruhig ist, kaufen wir nur kurz in einer Bäckerei gefüllte Laugenbrötchen, süße Stückchen, viel Milch und fahren damit in die Albula-Paßstraße hinein. An der ersten schönen Holzlagerstelle gibt es dann ein kräftiges Bergradlerfrühstück. Der Tag hat sonnig angefangen, jetzt ist es etwas bewölkt, also wunderbares Wetter für den Aufstieg. Weiter geht's über die Orte Alveneu-Bad, Filsur und dahinter durch die immer enger werdenden Täler zum letzten Ort Bergün oder auf rätoromanisch, das hier bereits gesprochen wird Bravuogn.
Nochmal etwas Nachschub in einer Metzgerei für unsere hungrigen Mägen und von unseren bereits 1367 Metern hinauf in den Paß D´Alvra. Die Straße steigt nun immer zwischen 10 und 12 % an, eine Steigung, die die begleitende Schmalspurbahnlinie nur durch viele Tunnelkehren und Brückenviadukte bewältigen kann. Gespenstisch hört man bald oben, bald unten das Pfeifen der Loks, bevor sie in diese Kehrentunnels einfahren. Immer wieder kreischende Räder der langen bremsenden Güterzüge, Eisenbahnromantik vom Feinsten, Paßfahrt wie in einer Modelleisenbahn.
Die Landschaft ist wunderbar, die Straße schlängelt sich in den Berg hinein, kleine Wasserfälle des Albula-Flusses, der durch die saftig grünen Hangwiesen zieht. Die Steigung nimmt zu, zumindest fühlt es sich so an, leider ist die Strecke länger als im Tübinger Trainingslager. Dafür werden die Pausen häufiger. Edi meint schon scherzhaft: "Wir müssen am Berg campen." Zum Glück sind die wenigen Autos an dieser für LKW und Wohnwagen gesperrten Paßstraße sehr radlerfreundlich. Immer wieder gibt es aufmunternde Worte, zuwinkende Motorradfahrer und ermutigenden Zurufe entgegenfahrender Radler. Müde erreichen wir die Baumgrenze bei 2000 Metern Höhe, inzwischen tröpfelt es doch ganz fleißig vom Himmel, was uns aber mehr erfrischt als stört.
Kurz vor vier Uhr dann die Paßhöhe des Albula bei 2315 Metern. In der historischen Paß-Gaststätte gibt es dann erstmal einen trockenen warmen Raum und Kaffee mit Kuchen. Wir folgen nun der fast eben verlaufenden Hochstraße zwischen beachtlichen Schneeflecken, dieser Rekordwinter scheint an einer Stelle vielleicht einen neuen Gletscher zu gebähren, mal sehen, ob der in den nächsten Jahren weiterwächst.
Je näher wir an das Engadin kommen, desto heller und sonniger wird es, die Abfahrt nach LaPunt ist dann eine helle Freude. Erstmals sehen wir den noch jugendlichen, grünblau schimmernden Inn und folgen nun in der Ebene innaufwärts über Bever dem Engadin-Radweg nach St. Moritz. Kurz vor St. Moritz, hinter Celerina wird es nochmal etwas steil, wir müssen 100 Höhenmeter erklimmen, von dort geht es nach St. Moritz Bad, wo der Zeltplatz auf uns wartet. In St. Moritz haben wir uns allerdings kurz verloren, da die Augen mehr bei den prachtvollen Hotelbauten und mondänen Geschäften waren als beim Partner. Der Zeltplatz, gestern hat wohl noch ein Reitturnier stattgefunden, es riecht etwas nach Pferdedung, vornehme Fürstenzelte werden abgebrochen, bietet uns einen angenehmen Aufenthalt. Am Kiosk holen wir uns das wohlverdiente Abendessen und verschwinden bald in unseren Schlafsäcken. 69 Kilometer Entfernung zurückgelegt.
Mittwoch, 4.August 1999 | Top 43 km St. Moritz - Maloja - St. Moritz |
Heute wollen wir ohne Gepäck nach Maloja fahren, um von dort aus den Ursprung des Inns am Pass Lunghin zu erwandern. Hinter dem Campingplatz führt uns zunächst der Radweg nach Silvaplana und dann durch wunderbare, sonnendurchflutete Uferwälder am See Lej da Silvaplauna entlang, wir erreichen Sils im Engadin, wollen uns dort etwas Proviant kaufen, stellen aber fest, daß nur eine sehr kleine Auswahl im Bäckerladen zu finden ist. Die zahlreichen Touristen haben wohl alle Vollpension. Nun wird es kniffelig, wie geht der Radweg weiter? Einerseits zeigt der Pfeil nach Süden, doch das Weidegatter ist so eng, daß es wohl nicht der Radweg ist. Hier starten aber auch Pferdekutschen mit den Hotelgästen von Vaüglia, da die schmale Straße nicht für Autos freigegeben ist. Wir folgen dem wirklich sehr steilen, geteerten Kutschenweg, Anne schiebt, Edi bemüht sich, mit den Mountainbikern mitzuhalten, was ihm auch gelingt.
Erstmal Rast in fast 2000 Metern Höhe und weiter geht's in Richtung Maloja, doch oh weh, Radweg bedeutet jetzt Mountainbike-Weg, dem wir tapfer folgen, bis er links in steilen Spitzkehren als Wanderweg abbiegt. Wir beratschlagen, während wir einen Kuhhirten bei seiner Arbeit beobachten, wie es weitergehen soll. Die ganzen erklommenen Höhenmeter zurück ist auch doof, also den kleinen Wanderweg nach Isola hinab. Ein Abstieg mit Liegerad zum Glück ohne Gepäck, aber trotzdem an der Grenze des Machbaren.
Den vorbeikommenden Wanderern erklären wir, es handele sich um eine Testsportart für ein großes Sportunternehmen, Liegerad-Shifting.
Nach einer Stunde und hundert Höhenmetern in Isola angekommen, genießen wir dieses außerordentlich reizvolle Bergdorf, gleich muß Heidi um die Ecke kommen, um die Dorfziege abzuholen, in der kleinen Gartenwirtschaft. Gestärkt mit Spaghetti und Pilzpolenta geht es dann weiter am jetzt wieder besser ausgebauten Radweg entlang des Lej da Segl nach Maloja.
Ein kurzer Blick auf die steile Paßabfahrt in Maloja zum Lago di Como und dann die Räder ins Gras gelegt und den Aufstieg mit Fototasche, warmem Fließ, Regensachen um die Hüfte gebunden, bewaffnet mit einigen Riegeln, geht es nach oben.
Links sehen wir immer den jungen Inn in Kaskaden den Hang hinunterplätschern, die Vegetation ist zunächst noch sehr üppig, zunehmend wird die Grasdecke dünner und ab 2300 Metern macht sich die Erosion durch Wanderwege doch deutlich bemerkbar.
Bei 2484 Metern erreichen wir den Lej dal Lunghin, einen einsam gelegenen Bergsee zwischen steilen Felswänden.
Der Bodenbewuchs beschränkt sich auf einige Alpenröschen und blauem Enzian, zusammen mit dem türkisblauen Wasser ein Genuß für die Sinne. Wir folgen nun dem Wanderweg durch das Kar, der Untergrund mit seinem vielfältigen Gestein, leuchtend grüner Granit, braun oxidierte Felsen, bereichern die Szenerie.
Um
16.00 haben wir endlich die Paßhöhe bei 2645 Metern erreicht und wir genießen
die mitgebrachte Salami auf Semmel.
An dieser Stelle teilen sich Europas Gewässer, nach Norden fließt hier jeder
Tropfen über den Rhein in die Nordsee, nach Süden geht's über
den Po in die Adria und wer etwas weiter östlich seinen Kaffee
verschüttet, kann ihn über Inn/ Donau 3000 Kilometer weiter im Schwarzen
Meer wiederfinden.
Leider zieht der Himmel jetzt völlig zu und wir versuchen, möglichst rasch abzusteigen. Mit schlechtem Wetter ist im Gebirge bekanntlich nicht zu spaßen. Trotzdem erwischt uns kurz vor Maloja noch ein kräftiger Regenschauer.
Dort steigen wir aufs Rad und wählen die Bundesstraße auf der Westseite von Lej da Segl, um rasch die 16 Kilometer zum Campingplatz zurückzulegen. Dieser Tagesausflug hat sich wirklich gelohnt, und unser Gepäck ist nun um 2 kg Gestein aus den Zentralalpen schwerer.
Donnerstag, 5.August 1999 | Top 91,28 km St. Moritz - Pfunds |
Wir starten um 10 Uhr bei strahlendem Sonnenschein. Zuerst nehmen wir den glatten Radweg durchs Engadin, der bestens ausgeschildert ist und vor allem von zahlreichen Skatern frequentiert wird.
Das erste Stück ist uns ja noch wohlbekannt, da wir es in Gegenrichtung bereits vor zwei Tagen durchfahren haben. Hinter La Punt wird das Tal sehr schmal und der Radweg schlängelt sich am Osthang des Piz Quattervals entlang, gemeinsam mit der rätischen Bahnlinie, die über kühne Viadukte die Schluchten schneidet.
Hier in einem der ältesten Nationalparks der Welt ist es sehr ruhig, aber nicht ganz eben. Es geht hinunter nach Zernez, wo wir in der Gaststätte beim Bahnhof ein kleines Mittagesssen einzunehmen.
Die Stadt ist nicht weiters sehenswert, da durch einen großen Stadtbrand vor hundert Jahren keine historischen Gebäude erhalten sind. Hier im Unterengadin ist die Straße B27 zum Glück nicht sonderlich belebt, und wir genießen das fast kontinuierliche Hinabgleiten entlang des Inns. Den kleinen Anstieg nach Ardez genehmigen wir uns, die mit Sgraffiti geschmückten Häuser sind ein wahrer Augenschmaus. Vor allem der freistehende Turm, der kühn auf einer Bergspitze thront, zeigt, daß diese Gegend kein unumstrittenes Grenzgebiet war.
Es gehörte vor einigen hundert Jahren noch zu Österreich. Ganz anders die Stadt Scuol/Schuls. Hier hat der Ski-Tourismus seine Spuren hinterlassen.
Es wimmelt von Menschen, Gaststätten, Hotels, Boutiquen und alles, was der moderne Reisende begehrt. Wir begehren einen Eisbecher auf der Sonnenterrasse eines Hotels. Noch bevor die Becher kommen, schüttet es kräftig, dank der ausgefahrenen Markise können wir trotzdem im Freien diesen Schauer genießen.
Das Sommergewitter zieht nach Osten ab und wir folgen ihm auf seinen nassen Spuren Richtung Pfunds in Tirol. In Martina endet die Schweiz und zehn Kilometer später beginnt Österreich. Dieses zolltechnische Niemandsland beeindruckt durch seine Kulisse.
Der Inn schlängelt sich hier nochmals durch eine schmale Felsenschlucht, die Szenerie erinnert uns an Via Mala, auf dem rechten Innufer können wir die Reschenpaßstraße den Berg steil erklimmen sehen. Wir sehen schöne Regenbögen und erreichen Pfunds zum Abend, dort nehmen wir ein Zimmer in der neugebauten Pension "Schöner Ausblick". Hundert Meter von hier hat Edi vor zwanzig Jahren übernachtet, als er dem Inntal in der anderen Richtung gefolgt ist. Der Ort ist seitdem gewaltig gewachsen. Auf der Terrasse eines Gasthofs mit Blick auf den grün schimmernden Inn verabschieden wir uns von dieser schönen Fahrt durch das Engadin.
Als wir im Bett liegen, stört uns das laute und nicht enden wollende Schreien
einer Kuh. In der Tat geräuschvoller als in jener Nacht im Stroh. Anne
entschließt sich, nochmals aufzustehen und die Wirtin auf das unglückliche Tier
hinzuweisen. Diese versteht das Problem sofort, denn heute wurde das Kalb
von der Mutter getrennt, der Bauer bringt es zurück. Kalb, Kuh und wir schlafen
daraufhin geruhsam. 91,28 Kilometer Strecke
Freitag, 6.August 1999 | Top 122,69 km Pfunds - Innsbruck Volders |
Obwohl dies die regenärmste Gegend Tirols ist, hat es in der Nacht stark gewittert. Der Inn ist jetzt nicht mehr grünblau, sondern sandig braungrau. Wir folgen nun hinter Pfunds der schmalen alten Verbindungsstraße, da ab hier die Bundesstraße 315 für das Fahrrad gesperrt ist. Es geht über Lafairs, Stein und Tösens nach Ried.
Schöne Ortsdurchfahrten dieser noch verträumten Dörfer lassen uns den leichten Regen vergessen. Oh weh, beim Bremsen in Ried bricht Edis Hydraulikschlauch der Vorderbremse und wir fragen nach einem Fahrradladen. Den soll es im 3 km entfernten Prutz geben. Dort gibt es aber keinen richtigen Fahrradladen. Wir fahren nun auf der wieder für Räder freigegebenen 315 schnurstracks nach Landeck, der nächstgrößeren Stadt.
Als drei Mountainbiker Edi überholen, wird sein Jagdinstinkt geweckt und das Rennen geht bis Landeck, ohne Anne, versteht sich. Obwohl an den Anstiegen die grünen Steine die Sache nicht leichter machen, kommt Edi als erster in Landeck an, die Mountainbiker sind sichtlich von der Leistungsfähigkeit eines Liegerads beeindruckt. Im Touristinfo von Landeck weiß man nur, daß die nächste Radwerkstatt in Zams liegt. Also nochmal drei Kilometer bis Peters Veloshop.
Doch Peters Mechaniker ist im Urlaub, was aber kein Problem ist, da ja im 20 Kilometer entfernten Imst ein sehr guter Fahrradladen sein soll. Es ist jetzt Freitagmittag und mit unseren paßtrainierten Muskeln geht es zügig das anfangs ebene Stück nach Imst.
Imst liegt jedoch am Hang und wir müssen noch einige Meter nach oben. Um dort zu erfahren, daß der große Fahrradladen im Tal neben der Autobahn liegt. Um kurz vor eins erreichen wir ihn, noch ist der Laden zu und Mittagspause. Wir warten und essen inzwischen eine Käsesemmel von der nahegelegenen Tankstelle. Es ist sehr ungemütlich und heiß, da hilft auch die große Flasche Almdudler nicht hinweg. Da hält ein Auto mit der netten Nummer "IM-ARAL 7" vor der Araltankstelle und der Fahrradladen öffnet sich! Der kurze Kommentar lautet: "Magura-Bremsen, da kann ich ihnen auch nicht weiterhelfen. In Telfts, 30 km weiter Richtung Innsbruck gibt es einen, der kann das."
Und
in der Tat, dort treffen wir einen Fahrradmechanikermeister, der gerade
im Aufbruch zu einem Tandem-Radrennen ist, eigentlich überhaupt keine Zeit mehr
hat und trotzdem so hilfsbereit ist, seinen mit Magura-Spezial-Equipment
gefüllten Pappkarton zu öffnen und gemeinsam mit seinem noch etwas unerfahrenen
Lehrling und den ingenieurmäßigen Tipps von Edi die Malaise zu beheben.
Dies scheint nach einer Stunde und so mancher Tücke des Objekts auch gelungen
zu sein, jedenfalls zahlen wir die 500 Schillinge gerne für diesen Dienst. Auf
den letzten Kilometern vor Innsbruck stellt Edi allerdings fest, daß sich die
Bremswirkung in engen Grenzen hält.
Es ist jetzt sehr heiß im Inntal, unser Thermometer zeigt 40 Grad am Fahrrad. Daher gehen wir vor Innsbruck an einer kleinen Sandbank ans Innufer und frischen unsere heißen Füße im eiskalten Wasser ab.
Innsbruck begrüßt uns mit seiner Universität, der Neubau sieht fast wie Tübingens Morgenstelle aus, und von da an gibt es gut ausgeschilderte Radwege, die nahe zum Zentrum führen.
Die letzten zwei Kilometer müssen allerdings durch manuelle Navigation nach der Regel "die Stadthäuser werden immer höher, dann hat man bald das Zentrum erreicht", Straßenbahnen werden dichter und schon blitzt um die nächste Ecke in einer Fußgängerzone das Goldne Dacherl wunderschön von der Abendsonne bestrahlt, entgegen. Zweihundert Meter weiter, in der Ottoburg essen wir im Freien zu Abend.
Das Restaurant ist sehr zu empfehlen, schneller, guter Service, leckere Speisen. Nun geht's weiter zum Campingplatz. Edi war vor zwanzig Jahren bereits einmal auf dem Innsbrucker Campingplatz, und er versucht instintiv, bald links, bald rechts abbiegend, den Zeltplatz zu finden. Bis er plötzlich meint: "Ich versteh´s nicht, wir müssen jetzt doch einmal fragen." Der Passant sagt: "Ja, genau hier wo der blaue Neubau steht, war früher Innsbrucks Campingplatz, leider gibt es keinen mehr im Stadtgebiet." Er empfiehlt uns, 6 km weiter nach Hall zu radeln, dort sei neben dem Hallenbad ein geeigneter Platz für unser Zelt. Dem gemütlichen Radweg am Inn entlang folgend, erreichen wir Hall, finden den Campingplatz nicht auf Anhieb und beschließen, statt umzudrehen, einfach nach Volders, dem Ort mit dem nächsten Zeltplatz weiterzufahren.
Die Straßen sind jetzt schön ruhig, doch es beginnt zu dämmern, und wir sind
froh, als wir kurz vor neun Schloßcamping Volders erreichen. Da meint
der Platzwart, leider wäre alles voll. Aber angesichts der fortgeschrittenen
Stunde fährt er sein Auto hinter dem Anmeldekiosk weg und ein kleines Stückchen
Rasen, geradeeben ausreichend für unser Alaska 2 Zelt wird frei. Wir genießen
noch ein Bierchen und wollen schlafen. Unsere zentrale Zeltlage läßt uns aber
das Nachtleben am Campingplatzrestaurant live miterleben. Ist es dann
mal 10 Minuten ruhig, kommen sicher einige Holländer, Ungarn oder wer auch immer,
treffen sich an der Campingkioskkreuzung und besprechen die wichtigsten Erlebnisse
des Tages. Edi meint: "Meinen letzten Glockenschlag habe ich um 1.30 vernommen".
Dieser Tag hat uns 122,69 km weit gebracht, der Inn ist inzwischen zum richtigen
Gebirgsfluß mutiert.
Samstag, 7.August 1999 | Top 70,51km Volders - Kufstein |
Der Aufbruch geschieht zügig nach lauter Nacht ohne Frühstück in Richtung Kufstein Die Strecke verläuft zunächst extrem flach, wir kaufen uns in Wattens Milch und große Kümmelwecken Tiroler Bauart (riesig) und fahren den Radweg weiter, bis ein einigermaßen geeigneter Platz zwischen Autobahn und Bahnstrecke uns zum Frühstück einlädt.
Die vorbeikommenden Radler und Dorfbewohner bewundern wie immer die Räder, sowas hat man hier noch nicht gesehen. Die Strecke führt nun leider sehr an der Autobahn entlang, die überdies aufgrund des Wochenendverkehrs gut gefüllt ist. Der leichte Gegenwind bringt uns jetzt auch noch Regen, erst vorsichtig, Tröpfchen für Tröpfchen, aber dann doch so heftig, daß wir die Regenanoraks auspacken müssen.
Der Zipper hält zwar die Füße trocken, aber in Brixlegg beschließen wir dann doch vorsichtshalber bei Sigwarts Tiroler Weinstuben einzukehren. Mit unserem vom Fahrtwind und Regen zerzausten Äußeren sind wir zwar etwas underdressed, doch zur Mittagszeit wird auch in Tiroler Sternelokalen noch keine so hohen Anforderungen an Radwanderer gestellt. Wir genießen zunächst den perfekten Service und das in altem Holz gehaltene tiroler Ambiente, bestellen im Übermut Suppe und Hauptgericht. Doch schon die Vorspeise, Sülze mit kleinen Brötchen, zeigt uns, daß die Portionen selbst unseren Radlermagen etwas strapazieren. Edi gibt nach der sehr reichhaltigen Bouillabaisse und zwei Radlern bald auf, Anne gelingt es jedoch, das wirklich leckere Fischgericht Edis, Felchen aus dem Achensee doch noch vor dem Wirt zu retten. Die Bedienung bemerkt wohl am Schluß unsere Sättigung und frägt, ob wir noch einen Schnaps wollen. Edi gönnt sich eine Williamsbirne. Hundertdreißig Mark ärmer und für diesen Tag nun erstmal satt, geht es weiter durch das lausige Wetter, dem Inn entlang nach Kufstein.
Edis Beine sind bleischwer, sein Wunsch, auf sonnigem Innsand eine Weile auszuruhen, kann noch nicht erfüllt werden, es mangelt an Sonne. Trotzdem suchen wir an einer
wirklich schönen Stelle hinter Kundel das Inn-Ufer auf und genießen die Mittagsruhe. Inzwischen hat es völlig zu regnen aufgehört und hauchfeine Nebelschwaden begleiten den Inn. Bald geht's weiter, Wörgl hinter uns lassend, kommt die Sonne heraus und an einer schönen Stelle können wir jetzt tatsächlich feinen Innsand mit Sonnenstrahlen auf weißem Handtuch genießen.
Kurz
vor Kufstein wieder hochverdichtete Verkehrsträgerführung: oben Autobahn,
darunter eine zweigleisige internationale Bahntrasse und in die Erde
bereits eingegraben der Radweg und kurz dahinter alles auf Brücken wieder
den Inn überquerend. Wir sehen die Festung Kufstein, die an dieser Engstelle
wohl früher das Tal verteidigen mußte, und suchen erstmal hinter der Fußgängerzone
den Zeltplatz.
Dieser liegt jedoch nicht Inn-abwärts, wie zunächst vermutet, sondern einen
Kilometer Inn-aufwärts auf der Ostseite, beim Bärenwirt. Er ist fest
in holländischer Hand, wir campen am äußersten Ende des Platzes. Nachdem das
Zelt steht, wieder zurück in die Stadt und gemütliches Postkartenschreiben und
Capucchinotrinken am Inn-Ufer und dann am steilen Stadtplatz mit Biergarten
ein Abendtrunk. Der Rückweg zum Zeltplatz führt uns an Aurachs Löchle vorbei,
das den legendären Ruf von Kufstein in der älteren Generation begründet.
Am
Zeltplatz versucht noch ein Ungar, die Feinheiten unserer Räder zu verstehen,
und beschwert sich über das schlechte Wetter hier. Dabei klingt der Regentag
sonnig aus. Wir zumindestens sind zufrieden. 70,51 Kilometer haben wir zurückgelegt.
Donnerstag, 8.August 1999 | Top 115,74 km Kufstein - Mühldorf |
Um neun Uhr starten wir in Tirol und sind nach kurzer Wettfahrt mit einem Skater entlang des Innstaudamms unversehens in Bayern, völlig ohne Grenzkontrolle. Es geht weiter nach Nußdorf und hier wird es nun deutlich hügeliger, da man den östlichen Hängen des Inntals folgt. Wir erreichen den schönen Stadtplatz von Altenbeurn. Wir folgen kleinen Wegen nach Thansau und Pitzing am Simsee, queren einige scharfe Hügel
des Voralpenlands, um über Stetten nach Prien und Rimsting am Chiemsee zu kommen. Die Landschaft ist hier fast kitschig schön, rechts die Berge, grün die Wiesen, Kühe auf den Weiden, Rückenwind und den See voraus. In Gstaad beim Malerwinkel gibt's Chiemseerenke und Chicken Wings. Am Nachbartisch sitzen vier Senioren, drei Damen, ein Herr, die sich in valentinesker Weise über ihre Schulzeit vor siebzig oder achtzig Jahren unterhalten.
Wer wann gestorben ist und wessen Holzstock wem gehört. Im Westen steigen schwarze
Gewitterwolken und am See herrscht Sturmwarnung, die orangenen Lichter
blinken und viele kleine Segelboote kehren ans Ufer zurück. Für uns bedeutet
das auch Wiederaufbruch. Wir folgen dem Chiemseeradweg, der ganz im Gegensatz
zum Bodensee nicht in Beton eingegossen ist, sondern dem natürlichen, verschilften
Ufer als Schotterweg folgt. An einem kleinen Pfad durch das Schilf machen wir
halt, gehen zum kieseligen Seeufer und nehmen ein erfrischendes Bad im bayerischen
Meer. Die Gewittertürme haben sich wieder verzogen und wir fahren gemach nach
Seebruck weiter. Dort werfen wir einen Blick in eine Ausgrabung einer römischen
Dörreinrichtung. Seebruck hatte bereits vor 2000 Jahren eine Brücke
über die Alz für eine wichtige Römerstraße. Wir folgen jetzt der
Alz, einem sauberen Fluß, nach Trostberg und entlang von Radwegen nach
Garching, Edis früherer Heimat, wo wir zwei betagte Tanten besuchen.
Mit Mineralwasser und Pfirsichen wohl erfrischt, geht's weiter über Mauerberg
und Tüßling nach Mühldorf, einer Innstadt mit einem 1 km langen,
prächtigen Stadtplatz, wo wir bei Emmy, Edis Mutter, übernachten. 115,74
km sind wir gefahren.
Montag, 9.August 1999 | Top 0 km Mühldorf |
Montag ist für uns heute bei über 30 Grad im Schatten ein Ruhetag. Wir genießen
die Küche bei Edis Muttern und versetzen uns abends mit vielen Dias in die Zeit
der frühen Kindheit. Kilometer gleich null.
Dienstag, 10.August 1999 | Top 93 km Mühldorf - München |
Kurz nach acht Frühstück und dann Abfahrt bei leicht tröpfelndem Himmel, aber mit der Hoffnung, daß es bald besser wird. Anne zieht auf jeden Fall ihren kurzen Rock an. Schon beim Starten gibt es eine Panne, nach der ersten Kreuzung aus der Siedlung von Emmy raus, nimmt Edi die rechte Route (eine Abkürzung), Anne die linke und danach die Ausschilderung nach München, doch bald stellt sie fest, daß Edi wohl auf anderen Wegen ist. Nach kurzer Zeit sehen wir uns nahe der Inn-Kanal-Brücke, jeder mit der Frage: "Wo warst Du denn?"
Nun stellen wir genaue Regeln für das Miteinanderfahren auf: auf dem Weg zu einer Stadt wartet der Schnellere am Eingangsschild oder Eingangsbereich. Das ist eindeutig. Fährt man aus einer Stadt heraus, ist es nicht eindeutig, welche Route man in die gewünschte Richtung nimmt, dann gilt: Sobald man sich nicht mehr sieht, an die Stelle zurückzukehren, wo man sich zuletzt gesehen hat.
Mittlerweile schüttet es, wir sind zwar naß, aber es geht noch, der Zipper hält schon einiges ab.Wir fahren durch das Isental, doch nach Ampfing wird es schwierig, nicht auf die gefährliche Bundesstraße B12 nach München zu kommen. Wir verfehlen eine Abzweigung, biegen dann nach Westen auf eine Bauernstraße, die aber in einem Heufeld endet, das in einer Isenschleife wunderbar abgelegen liegt. Es riecht nach Balsaminen, die hier zu tausenden blühen. Bald wird es hier nicht mehr so einsam sein, da die Autobahn A94 dieses einsame Tal durchschneiden soll.
Zurück und dann auf Kreisstraßen nach Schwindegg und Dorfen. Der Regen hat inzwischen unsere Kleider durchnäßt, und in Isen, die Route dorthin ist eigentlich wunderschön, wenn auch sehr hügelig, beschließen wir, ab Marktschwaben die S-Bahn nach München zu nehmen. Wir folgen kleinen Bauernstraßen durch Zellershub, Loipfing nach Buch und erreichen schließlich um 13.30 die S-Bahn-Station. Mit zwei Fahrradtickets (zusammen DM 15,00) können wir bis nach Planegg fahren, von wo aus Forstenried mit dem Reihenhaus von Edis Schwester gut zu erreichen ist.
Die kleinen Kinder begrüßen uns bereits auf der Straße und staunen nicht schlecht
über zwei durchnäßte Gestalten auf Liegerädern. Zum Glück ist es in München
trocken und nach einer Kaffeepause geht's an der Isar entlang und durch Münchens
Altstadt. Wir wollen am Hauptbahnhof unsere Räder verladen, die Frau am Fahrkartenschalter
erklärt uns aber: "Sie kommen heute nicht mehr nach Tübingen mit dem Rad." Daraufhin
empfiehlt Edi, am nächsten Schalter zwei Fahrradtickets und zwei Fahrkarten
zu kaufen und sich direkt zum Intercity 512 nach Stuttgart zu begeben.
Dort können wir auch mühelos unsere Räder im geräumigen Fahrradabteil abstellen
und genießen nun den Blick über die Schultern des Lokführers bei der bequemen
Fahrt nach Stuttgart. Von dort geht es in dem legendären Bummelzug nach
Tübingen über Esslingen, Plochingen, Wendlingen, Nürtingen, Metzingen, Reutlingen.
Um 22.20 h erreichen wir Tübingen. Zurückgelegte Kilometer per Rad: 93
km
Das wars, vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, Fragen, Tipps und Anregungen an eduard@heindl.de
eduard@heindl.de | Sommer 1999 http://www.solarserver.de/inn/index.html |