Mit dem Rad von Tübingen aus in den Böhmerwald und zurück

Von Annerose Eberhardt und Eduard Heindl

Warum gerade Böhmerwald? Edi hatte die Strecke vor zwei Jahren noch viel weiter bis Budapest zusammen mit Regine zurückgelegt. Er kannte die Gegend also schon und freute sich darauf, die weite und wilde Landschaft wiederzusehen und die Mehlspeisen der Landesküche zu genießen. Anne hatte von einem Verlagskollegen traumhafte Dinge über den Böhmerwald gehört und wollte da auch mal gerne hin. Die Literaturgeschichte führt immer wieder nach Böhmen. Und vor allem die schönen, jahrhunderte lang unverändert gebliebenen Stadtplätze, die es dort zu sehen gibt. Die konkrete Idee, unseren Sommerurlaub dort zu verbringen, kam uns auf den schönen Stadtplätzen von Mühldorf und Burghausen.

Also sehr viele Gründe, ausgerechnet nach Tschechien zu fahren, das in jenen Tagen vor allem wegen des Jahrhunderthochwassers von Donau und Elbe in den Nachrichten war.

Der erste Urlaub stand zunächst unter einem zweifelhaften Stern. Das Wetter schien sich gerade einzuregnen, es war kalt die ganzen Wochen vorher, in den Nachrichten kamen schreckliche Berichte über das Hochwasser, das die ganzen östlichen Gebiete heimsuchte. Und Edi hatte einen Termin am anderen, so daß wir gerade mal anderthalb Wochen für den Urlaub zur Verfügung hatten. Anne hatte das neue Fahrrad zwar schon zwei Monate, war aber doch nicht so häufig zur Morgenstelle hochgeradelt wie eigentlich geplant. Deswegen war Edi einigermaßen skeptisch, ob das mit der weiten Strecke wirklich gutgehen kann. "Wenn du es bis Ingolstadt schaffst, ist es schon toll..."

Doch tatsächlich: am 24.7.97 machten Edi und Anne sich auf die Reise. Mit dem Fahrrad, wenig Gepäck und viel Optimismus ging es los

um kurz nach sechs Uhr in der Frühe. Das war ein guter Start, denn an diesem Sommermorgen war es herrlich, den Weg über Reutlingen hin zur Schwäbischen Alb zu radeln.

Die frühmorgendliche Frische wich gegen die Mittagszeit, als wir den Albaufstieg bewältigten, einem prallen Sonnenschein.

Da kamen wir das erste Mal so richtig ins Schwitzen. Sonst ging alles erstaunlich gut, bis auf einen Zwischenfall, als bei der Abfahrt Anne das Käppi verlor, das eigentlich ihrem Vater gehörte, ein Reisegeschenk von Bernd aus den Staaten. Ein nicht wiedergutzumachender Verlust, der Anne schwer belastete. Eine andere Mütze mußte gekauft werden.

Im Schmiechener Tal machten wir eine zünftige Rast auf einer Heuwiese, durch die ein kleiner Bach floß mit kristallklarem Wasser, in dem wir uns die Füße kühlten. Die Pause wurde jedoch knapper gehalten als wir wollten, da sich hinter unserem Rücken eine massive Gewitterfront aufbaute, die direkt in unsere Fahrtrichtung zog. Nichts wie los mit den Rädern, dem Regen eine gute Strecke voraus. Doch trotz einer gut gewählten weiteren Pause erwischte uns der Regen kräftig. Als es so richtig anfing zu schütten, wollte Edi umdrehen und unterstehen. Da aber mußte Anne unbedingt ihren Dickkopf zeigen: "Ich drehe nicht um!" Sprach´s und fuhr direkt in eine Wasserwolke hinein, die ein vorüberfahrender LKW und eine günstig gelegene Pfütze gerade produzierten. So gebadet suchte sie dann doch die nächstgelegene Unterstellmöglichkeit an einer Autoreparaturwerkstätte. Edi kam nach und besorgte sich dort noch das Fahrradflickzeug, worüber wir später noch sehr glücklich sein sollten.

Irgendwann wurde es dann besser mit dem Regen, und wir erreichten glücklich gegen drei Uhr nachmittags Blaubeuren. Am Blautopf stellten wirdie Räder ab und gingen in ein Café. Während des Kaffeetrinkens klarte der Himmel auf und die Sonne freute sich wieder an ihren Strahlen. Sie tauchte den Blautopf in ein wunderbares grünblaues Licht, das leider der Fotoapparat nicht einfangen konnte, aber das Gedächtnis umsomehr. Es war wunderschön, feucht und geheimnisvoll. Wir hatten zwei Wochen zuvor das Theaterstück "Das Lachen der schönen Lau" gesehen, das die Sagenwelt um den Blautopf wieder in Erinnerung gebracht hat, auch wenn die Aufführung verregnet und nicht besonders überzeugend gewesen war.

So ging es dann gut erholt weiter nach Ulm, wo wir mit dem Rad direkt vor das Münster fuhren. Die Stadt hat ein sehr gut ausgebautes Radwegenetz, es macht richtig Spaß dort zu fahren.

Von dort aus fuhren wir noch ein gutes Stück bis Leipheim, wo wir ein sehr billiges Gasthaus erwischten, hauptsächlich deshalb, weil Anne genau davor stehen blieb und nicht mehr weiter wollte. Die Toilette und das Bad war außerhalb des Zimmers. Dafür konnte man dort gut und kräftig zu Abend essen, wir hatten frisch gebratene Spanferkelkoteletts. Als wir ankamen war es 19.30 h, der Tag war ganz schön anstrengend gewesen, und nach einem dunklen Bier schliefen wir wie die Engel.

Die Bilanz des ersten Tages konnte sich sehen lassen: 129 Kilometer Strecke in insgesamt 8 Stunden 45 Minuten Fahrzeit, durchschnittliche Geschwindigkeit 14,73 km/h.

Zweiter Tag 25.7.97

Dieser Tag fing mit Regen an, weshalb wir das Frühstück etwas ausdehnten und erst um 9.15 h loszogen. Time Management war das Stichwort des Tages. Man bleibt stets guter Dinge, wenn man die Pausen richtig legt. Immer wieder fing uns das schlechte Wetter ein, aber nie die schlechte Laune. Die Ortsschaft Offingen lockte uns abseits des Radwegs durch ihre buckligen Straßen, um am Ortsende in der für uns falschen Richtung ihr gelungenes, sicher vom Oberlehrer des Ortes zusammengestelltes Faltblatt für Radfahrer bereitzuhalten. Leider brachte uns dieser Ausflug nicht weiter auf dem Donauradwanderweg.

Am Weg gab es aber noch richtige Sehenswürdigkeiten: die Ausgrabung eines Apollo-Tempels in Faimingen und das Schloß in Leitheim, von dem aus wir einen schönen Rundblick auf die Umgebung hatten. Ein Gewitterguß führte uns in das Schloßinnere, in geschmackvoll renovierte Räume mit einer Kunstausstellung und der nervösen Atmosphäre, die ein bevorstehendes Konzert unter den Musikern und Sängern hervorruft.

Am Nachmittag kam die Sonne wieder durch und machte die Landschaft klar und schön. Wir beschlossen, den Donauradweg zu verlassen und durch das Wellheimer Tal vom Donautal ins Altmühltal zu fahren. Diese Täler sind wirklich sehr schön, die Fahrt lief auf wenig befahrenen Straßen ganz glatt. Der Blick schweift gefällig auf die grünen Hügel und bizarren Felsgebilden, die eigenwilligen Wacholderbüsche, die das Tal säumen.

Wenn man mit dem Rad unterwegs ist, verschieben sich nach kurzer Zeit die Orientierungen. Das Raum- und Zeitgefühl wird weiter und intensiver, die Blumen am Weg werden besser wahrgenommen, die speziellen Düfte, die in einer Landschaft hängen und die es nur zur bestimmten Tageszeit gibt. Das sind alles Eindrücke, die nur mit dieser Reiseform zu erhalten sind.

In Wasserzell fanden wir einen gediegenen bayrischen Gasthof, den Hirschenwirt, der nicht billig war und allen Luxus bot.

Als wir gegen 20.00 h ankamen, hatten wir 129,6 Kilometer zurückgelegt mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 16,63 km/h und einer Fahrtzeit von 7 Stunden 47 Minuten.

Dritter Tag 26.7.97

Die erste Etappe von Wasserzell aus führte uns bei angenehmem Morgensonnenschein direkt in die katholische Altstadt von Eichstätt. Diese Stadt besteht zum großen Teil aus imposanten Amtsgebäuden der katholischen Kirche. Ein winziges Häuschen trug die Aufschrift der Evangelischen Landeskirche Bayerns...

Die Fahrt führte durch das romantische Altmühltal. Vergeblich suchten wir ein Einkaufszentrum, um unser Proviant aufzustocken. Ein Tante-Emma-Laden unterwegs mußte es dann tun. Aber es gab wunderbare Zwetschgendatschi, ganz frisch und saftig.

Der Tag bescherte uns auch noch eine typische Radpanne: Edis Vorderrad machte schlapp. Günstigerweise wollten wir ohnehin eine Pause machen und der Rastplatz war gerade vor uns. Flickzeug - wie gut, daß wir es gerade zu Anfang der Reise gekauft hatten. Mit Spucke und Geduld flickte Edi den Reifen - und bestens erholt ging es weiter, immer den Kanal entlang.

Sehr schön war die Eispause in einem Straßencafe entlang des Kanals, die Frachtschiffe drifteten an uns vorbei. So ging es mit einer Pause an der anderen über Kelheim nach Regensburg.

Leichte Konditionsschwierigkeiten traten inzwischen bei Anne auf, so daß sie in Kelheim sanft vom Rad rutschte. Das war nicht tragisch, doch das Rad flog so auf die Seite, daß die Bremsen in Mitleidenschaft gezogen wurden. Das bemerkte sie allerdings erst, als das Bremsen auf der einen Seite nicht mehr so gut funktionierte. Bremsflüssigkeit lief aus. Doch nicht verzagen - Edi fragen... Er zog die gelockerte Schraube etwas an und schon war es besser.

Trotzdem war es ein kritischer Punkt: wir wollten in den Bayrischen Wald. Das ist ein sehr gebirgiges Gebiet, in dem gute Bremsen lebensnotwendig sind. Die Bremsen sollten also auf jeden Fall repariert werden. Nur hatten wir kein Fahrradwerkzeug mit dabei. Wir hofften auf eine Möglichkeit, unterwegs das Rad machen zu lassen oder aber wir mußten die Tour abbrechen. Ein Tag voller Pannen!

Das Wetter dagegen war wunderbar zum Radfahren, gegen Abend zeigte sich sogar die Sonne wieder.

Glücklich und müde zogen wir in Regensburg ein und nahmen ein Quartier mitten in der Stadt. "Der Rote Hahn" ist ein sehr gepflegtes, gut restauriertes Haus in der Stadtmitte, Fußgängerzone. An die rote Hahnengasse hat Edi gute Erinnerungen.

Trotz der gepflegten Atmosphäre mutete das Hotel wie ein Jugendherberge an. Scharen Jugendlicher, laut kichernd und riesige gut verpackte Stangen mit sich herumtragend, krakelend, laut rufend tummelten sich im Hotel. Im Restaurant viele junge Leute, zu uns an den Tisch setzten sich eine ältere Frau mit zwei Kindern, die beide riesige Schnitzel mit Pommes vertilgten. Als wir ins Gespräch kamen, zeigte sich, daß dies mitnichten Mutter und Kinder waren. Sondern Trainerin und ihre Schützlinge. Sie hatten am nächsten Morgen Wettkampf, weshalb die riesigen Mengen Fleisch ein bißchen mit Mißtrauen betrachtet wurden. An diesem Wochenende waren die bayrischen Leichtathletikmeisterschaften. Wir wünschten guten Erfolg bei den Wettkämpfen. Schließlich mußten die beiden Jugendlichen, ein Mädchen und ein Junge am nächsten Tag ganz schnell laufen, Hürdenlauf, und ganz weit springen...

Anne hätte das ganz sicher nicht gekonnt. Sie hatte tierischen Muskelkater... Wir machten nach dem Abendessen noch einen Rundgang durch die romantischen Gassen der Innenstadt. Danach legten wir uns unverzüglich schlafen, schließlich war es ein langer Tag und die zurückgelegte Strecke betrug 136,1 km in 8 Stunden auf dem Rad.

Vierter Tag 27.7.97

Das Wetter wurde immer besser. Bei strahlendem Sonnenschein ging es an diesem Morgen los. Wir nahmen den wunderschönen Radweg nach Falkenstein, eine stillgelegte Bahnstrecke mit leichter Steigung durch den Wald. Dieser Radweg ist so berühmt, daß es Leute gibt, die extra nur für diese Strecke von weit her anreisen, wir haben unterwegs einige getroffen. Hier sind wir schon mitten im Bayerischen Wald, eine wildromantische, einsame Gegend, richtig ursprünglich. Unterwegs kamen wir an einen Fahrradbahnhof, wo Edi die Bremsen an Annes Fahrrad festziehen konnte. Außerdem gab es ein gutes Mittagessen.

Unterwegs wurden wir von einer Reisegruppe fotografiert und richtiggehend interviewt wegen der Liegeräder. Es ist auch ganz erstaunlich, daß viele glauben, das Rad hätte keinen Lenker, man müßte die Richtung durch Gewichtsverlagerung bestimmen... Das wäre wirklich entsetzlich. Das Interesse an den Rädern ist wirklich sehr verblüffend. Aber es machte schon großen Spaß, die Steigungen langsam zu überwinden, um dann volle Fahrt den Berghang hinunter zu rasen. Es gab sehr schöne Aussichtspunkte und die Ruhe und Einsamkeit der Wälder stand in einem schönen Kontrast zum Gewusel und der Lebendigkeit des alten Regensburg. Das Tal der Regen ist wunderschön.

Als wir dann gegen halb acht im Zellertal ein Gasthaus nahmen, hatten wir 101,6 Kilometer zurückgelegt mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 13 Stundenkilometern. Dabei mußten wir von 350 auf 610 m Höhe kommen. Die rasanten Abfahrten drücken sich in der Höchstgeschwindigkeit von 74,7 Stundenkilometern aus (bei Edi, nicht bei Anne, die nicht so schnell fuhr).

Rappendorf liegt sehr idyllisch an einem Gebirgshang zum Zellertal hin, das wir am nächsten Tag durchqueren wollten. Es kam dort schon fast Almromantik auf...

Das Dorf bestand praktisch nur aus Bauernhöfen, die sehr alt waren und Pensionen. Unser Zimmer hatte einen sehr netten Balkon zur Wiese hinaus und war sehr ruhig. Tief und fest schlafen konnte man da wirklich gut.

Fünfter Tag 28.7.97

Kurztour von Rappendorf nach Bayerisch Eisenstein hat Edi in den Reiseaufzeichnungen geschrieben. Doch was für eine Kurztour! Der Strecke nach waren es tatsächlich nur 40,1 km, die Fahrtzeit auf dem Rad betrug knapp vier Stunden, die durchschnittliche Geschwindigkeit also 10,49 Stundenkilometer.

Aber nichts mit Ruhetag! Es war zwar wunderschön, aber auch sehr anstrengend. Denn es ging auf 1120 m hoch und das mit Annes Muskelkater!

Die Sonne strengte sich an, endlich einmal einen richtigen Sommertag zu produzieren, der Himmel war strahlend blau. Die Strecke ging mitten durch die bayerischen Wälder, vorbei an Pilzen, Heidelbeeren, die wir immer wieder abernteten. Hübsche Rastplätzchen, plätschernde Bäche, Sonne und Schatten gab es, alles was man wollte. Und es ging immer nur bergauf. Da mußten wir die Räder dann doch einige Mal schieben, was man natürlich nicht so gerne tut.

Auf jeden Fall hat es sich gelohnt: der Arbersee liegt so märchenhaft wie er klingt, mitten in den Bergen, kristallklares Wasser, die Sonne funkelte darin. Das einzige was störte, waren die Touristenmassen, die ununterbrochen herbeiströmten. Die Attraktion der Gegend - das muß man gesehen haben. Sonst hatten wir einen solche Ansammlung nur in Bodenmais erlebt.

Aber nach der Einsamkeit der Wälder macht es nicht mehr soviel aus, da kann man schon wieder viele Menschen ertragen...

Die Abfahrten vom kleinen Arber waren fantastisch. Da weiß man, warum man nach oben gefahren ist.

Glücklich und müde erreichten wir Eisenstein, wo wir ein wenig außerhalb ein geschmackvoll einfach eingerichtetes, sauberes Zimmer im Sonnenhof bezogen, gegenüber befindet sich eine Skischanze.

Vor dem Schlafengehen machten wir einen Spaziergang in das kleine Städtchen. Wir beobachteten den kleinen Grenzverkehr am Bahnhof. Dort konnte man nur zu Fuß über die Grenze. Wir dachten uns einige Schmugglergeschichten aus (in der Hotelküche hatte ich auch Zigaretten ohne Zollbanderole entdeckt). Tatsächlich wurde auch eine Frau festgehalten, die offensichtlich Zigaretten im Plastikbeutel mit sich trug. Allerdings war seltsam, daß sie nicht von Tschechien einreiste, sondern von unserer Seite aus. Auch zwei wie Neonazis aussehende junge Männer wurden von den Grenzpolizisten aufgehalten.

Zunächst war es genügend warm, so daß wir an einem Straßencafe etwas aßen und dazu schweres malziges Bier tranken. Doch dann kam mit der einbrechenden Dunkelheit doch eine unsommerliche Kühle auf, die uns sehr schnell aufbrechen ließ und fast im Dauerlauf zum Hotel zurückzugehen zwang.

Sechster Tag 29.7.97

Nun waren wir mitten im Gebirge - und die Strecke des Tages führte uns durch die höchstgelegenen Böhmischen Wälder von Eisenstein nach Vimperk (Winterberg), wo wir nach knapp 76 Kilometern ankamen. Dabei waren wir 5 Stunden und 39 Minuten auf dem Rad. Die Höhenunterschiede waren schon ganz ordentlich: von 630 m auf 1175 m! Weshalb die Maximalgeschwindigkeit 67,6 Stundenkilometer betrug. Im großen und ganzen wechselten sich Bergaufstiege mit Bergabfahrten. Also keine langweilige Strecke! Die erste Haltestation war in Brasilien, einem kleinen Ort im Böhmerwald, der sich Prasily nennt. Dort gab es eine Gaststätte, wo wir die ersten böhmischen Palatschinki verspeisten, die im übrigen sehr gut waren. Dazu gab es den einheimischen Kaffee (mit viel Satz in der Tasse), der umgerechnet nur ein paar Pfennige kostete. Auch die Palatschinki waren umgerechnet superbillig. Edi war total erstaunt, was sich innerhalb der letzen zwei Jahre hier getan hat, seit er das letzte Mal hier war. Damals muß die Versorgungslage beängstigend gewesen sein. Jetzt gibt es entlang der Strecke zig Übernachtungs- und Essensmöglichkeiten. Dabei befanden wir uns schon in einer für Tschechien sehr einsamen Gegend. Ein Ort mitten in den Wäldern nennt sich sogar "Außergfild" (Kvilda). Dort aßen wir auch wieder Palatschinki (die luxuriöse Variante mit viel Schlagsahne und Früchten). Dazu muß noch erzählt werden, daß Edi ständig dafür sorgte, daß nach bestimmten Kilometerständen Anne ein Riegele aß, damit sie die Strecke auch durchhält.

Die wunderschöne Weite der Wälder zeigen mehrere Fotos, die wir im Großformat gemacht haben. Da ist es schon eine Abwechslung, wenn man frei umherwandernde Kuhherden sieht. Mit einem richtigen Kuhhirten. Als wir näher kamen, rasten die Kühe in einer erstaunlichen Geschwindigkeit auf uns zu, wurden jedoch durch den Hirten davor zurückgehalten, uns über den Haufen zu rennen.

Als wir dann Vimperk erreichten, leuchtete uns ein schöner Bau entgegen, neu restauriert in vornehmem Zartgelb.

Hotel Anna stand daraufgeschrieben. Da wußten wir sofort, wo wir übernachten wollten. Es war ein richtiges Luxushotel, doch der Preis war noch erschwinglich, wenn auch nicht billig.

Nachdem das Zimmer bezogen war, machten wir uns auf in die Stadt. Dort stellten wir fest, daß es außer Hotel Anna nicht mehr so viele andere, wenn überhaupt Übernachtungsmöglichkeiten gegeben hätte. Im Central Restaurant aßen wir gut zu Abend und tranken schweres, hochprozentiges Böhmisches Bier, nach dem sich Edi wie ein böhmisches Engele gefühlt hat und richtiggehend ins Bett schwebte.

Der Wirt sprach hervorragend deutsch, so daß wir uns ein bißchen unterhalten konnten. Passend zur Boheme, dem berüchtigten Künstlerleben, daß am Nebentisch ein englisches Paar, das wir beim ersten Gang durch die Stadt mit ihren Malutensilien gesehen hatten.

Siebter. Tag 30.7.97

Morgens zuerst ein Prachtfrühstück im Hotel Anna, danach eine Stadtbesichtigung von Vimperk. Edi hat sehr schöne Bilder vom noch leeren Markt und den verschiedenen Stationen gemacht. Das Schloß von Vimperk liegt romantisch über der Stadt und wird gerade hergerichtet, wie sehr vieles im offensichtlichen Bauzustand ist. Die Menschen stecken sehr viel Liebe in die Renovierung ihrer Städte, die sehr viel kostbare alte Bausubstanz haben. Auf dem Markt kaufte sich Anne ein leichtes Set, kurze Hosen, knappes Oberteil. Denn inzwischen hatte sich der Sommer entschieden, richtig zuzuschlagen. Wir hatten wirklich Glück. Die folgenden Tage waren richtig strahlend schön und sonnig warm.

Wir beschlossen, nach den rekordverdächtigen Tagen zu Anfang der Radtour, doch mal einen Faulenzertag einzulegen. Anne hatte nämlich immer noch ziemlich Muskelkater (nicht genügend trainiert vor der Fahrt).

Gegen Mittag sind wir dann Richtung Prachatice gefahren. Die Strecke führte über viele Hügel auf (von 595m ) und ab (von 875m), so daß wir für die knapp 24 Kilometer fast zwei Stunden brauchten (durchschnittliche Geschwindigkeit 12,91 km/h).

Um halb drei Uhr nachmittags kamen wir in Prachatice an. Der Rathausplatz ist wirklich sehenswert. Die Renaissance-Fassade des Rathauses ist prächtig, ebenso die teilweise sehr schön gestalteten Bürgerhäuser und Geschäfte. Wir übernachteten in einem alten Gemäuer, das zur Stadtmauer hin zeigte und meterdicke Wände hatte. Das Hotel hatte ein Restaurant, in dem es einen historischen Brunnen gab.

Wir streiften durch die alten Gassen der Innenstadt, flanierten im Park entlang der Stadtmauer und erkundeten die Plattenbausiedlungen etwas außerhalb. Ganz auffällig in der Stadt waren die Bauarbeiten. Überall wird renoviert, daß es eine Freude ist. Im Straßencafe beobachteten wir ein britisches Paar, das sich eingehend die Immobilienzeitung anschaute. Ein Schnäppchen im Böhmerwald - wer weiß, vielleicht werden die Immobilien mal ganz viel wert - die Ecke könnte durchaus interessant sein. Edi möchte sich am liebsten ein kleines Schlößchen hier kaufen. Das wäre durchaus zu finanzieren. Aber ob´s sichs lohnt?

Die Palatschinki von Prachatice sind von hervorragender Qualität. Ansonsten sind Versuche, mal was anderes zu essen, gescheitert. Es schmeckte nicht so gut. Bei Palatschinki weiß man, was man hat.

Die Courasche, berühmte Romanfigur von Grimmelshausen, stammte aus Prachatice. Und man kann heute noch ahnen, daß diese Städtchen, Vimperk, Prachatice, Krumlau und die anderen Stationen des Goldenen Stiegs sehr wohlhabend und bedeutend gewesen sein müssen. Am liebsten hätte Anne die Antiquitätenläden geplündert, doch mit dem Fahrrad kann man ja nicht so viel mitnehmen...

Achter. Tag 31.7.97

Bei Sonnenschein fuhren wir in Prachatice los über Krumlau nach Horny Plana. Die Strecke von 69 Kilometern war mäßig bergig (von 600 auf 805, dann 600 und 890, 845), so daß wir nach kurzer Zeit bereits um halb zwölf in Krumlau ankamen. Die Höchstgeschwindigkeit betrug 67,7 Stundenkilometer. Zwischen Prachatice und Krumlau liegen wunderbare Wälder, menschenleer, so gut wie kein Verkehr. Die Täler und Berge haben etwas Entrücktes, Geheimnisvolles an sich, vielleicht weil sie so viel intensiver sind, als wir sie kennen. Das ist auch das schöne am Radurlaub: man ist viel näher dran, als wenn man mit dem Auto durchbraust. Die Eindrücke halten sich auch länger. Noch nach einem halben Jahr sehe ich die Abhänge, die starken Kontraste von Licht und Schatten vor mir, das Grün der Nadeln. Entlang der Strecke liegt die Warme Moldau, die sich durchs Tal schlängelt.

Krumlau ist noch um einiges prächtiger als Prachatice, auch größer. Die Moldau schlängelt sich malerisch durch die alte Stadt. Es war warm genug, daß die Menschen in Scharen dort badeten, viele Boote tummelten sich auf dem Fluß.

Die Bemalung der Häuserfassaden spricht von vergangenem Reichtum der Stadt. Architektonisch sehr viel Interessantes war zu sehen, ein Bild ist besonders gut geworden, das den Durchblick unter den Arkaden zeigt. Ebenso gut geworden ist der Blick vom Schloß auf die Modau. Wir aßen im Schloßrestaurant zu Mittag eine Ente mit steinharten Kartoffelknödeln. Dann gingen wir im Schloßpark spazieren, der sich weit ausdehnte und wunderschöne alte Bäume hatte. Am Seerosenteich ließen wir uns für eine Weile nieder und träumten ein bißchen in den Tag hinein.

Danach besichtigten wir das Schloß und genossen eine Führung von seltenem Charme. Eine nur radebrechend deutsch sprechende junge Frau, die insgesamt etwas unheimlich wirkte, eigenartig kurzatmig war, die Sätze seltsam dramatisch konstruierte, führte uns durch das Reich der Rosenberger und Schwarzenberger. Beeindruckend waren vor allem die goldene Kutsche, die nur einmal in der Geschichte gefahren wurde, als der Schloßherr eine wichtige Mission für den Papst hatte, und der Maskensaal. Hier finden Konzerte und Feste statt. Der Saal ist auf wunderbare Weise ausgemalt, mit optischen Täuschungen arbeitend stellt sich ein Maskenfest dar, die einzelnen Figuren werden richtig lebendig und plastisch. Der Künstler hat hier ganze Arbeit geleistet.

Als der große Regenguß einsetzte, saßen wir bereits wieder im gemütlichen Schloßrestaurant und aßen die unvermeidlichen Palatschinki. Dank Edis "Total-Time-Management-Systems" (?) waren wir fertig mit dem Schmaus als es zu regnen aufhörte und traten kräftig in die Pedale, um heute noch zum Stausee Lipo und nach Horny Plana zu kommen. Die Strecke war sehr bequem an einer wenig befahrenen, aber neuen Straße, die immer geradeaus ging, so daß wir eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 15,46 km/h erreichten. Nur eine Ausnahme: ein Dorf mit der stärksten Steigung, die ich kenne, zwang uns zum Absteigen.

In Horny Plana, dem Geburtsort Adelbert Stifters, gerieten wir an ein besonderes Hotel: ein unverkennbar im alten sozialistischen Prachtbaustil erbautes Plattenbaumodell. Es roch sogar noch ein bißchen danach. Der Heizkörper war auf der vollsten Stufe eingestellt, so daß er richtig glühte. Die Temperatur war aber natürlich nicht zu regeln. Die Dusche wollte ich lieber nicht benutzen...

Neunter Tag 1,8,97

Nun befanden wir uns bereits auf dem Heimweg. Noch einmal erlebten wir die schönen einsamen Wälder, allerdings regnete es und war relativ kalt. Das verstärkt den Eindruck der Abgeschiedenheit. Das Stück Wald, in dem sich der Grenzübergang nach Österreich befindet, wirkte ganz und gar unwirklich. Es ging kräftig bergauf, da Edi eine besonders schöne und auch leichte Route über die Bergrücken ausgesucht hatte. Ein besonders schönes Gebirgsstädtchen ist Ulrichsberg, das wir auf der Suche nach dem richtigen Weg durchfahren haben. Die Strecke war der alte Grenzweg, der die bequemste Möglichkeit darstellt, das Gebirge zwischen den drei Ländern zu überwinden. Wir befanden uns an diesem Tag sozusagen auf über 1000 Metern Höhe zwischen den Wolken. Es war feucht, aber durchaus reizvoll. Niemandsland, verwunschen, voller Geheimnisse (alte Schmugglergeschichten). Der Grenzer wollte trotz Regen unsere Ausweise sehen. Der Regen sollte uns noch eine Weile begleiten. Erst als wir bei Kaffee und Kuchen in Jochenstein wieder an der Donau saßen, kam die Sonne heraus. Hier beobachteten wir die Fähre, vollbeladen mit Autos. Die letzte Abfahrt davor war spektakulär und machte alle Anstrengungen zuvor wett.

Nun waren wir wieder auf dem Donauradweg, wo es flott voran ging bis nach Passau. Noch einmal schlug der Regen zu unterwegs, aber als wir in Passau ankamen, schien die Sonne, so daß die Stadt sehr freundlich aussah.

Edi zeigte mir den Zusammenfluß von Inn und Donau, der mächtige Inn und die schmale Donau. Danach heißt der Fluß Donau.

Wir machten noch einen schönen Stadtrundgang und aßen in einer originellen Wirtschaft Schwammerln und Zwetschenknödel. Das hatten wir uns aber auch verdient, schließlich hatten wir 81,7 km Stecke mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 14,9 km/h und einer Höchstgeschwindigkeit von 78,7 km/h (letzte Abfahrt) zurückgelegt.

Zehnter Tag 2.8.97

Der letzte Tag kennzeichnete sich durch die Heimreise mit dem Zug. Zuvor wollte Edi noch Werkzeug fürs Fahrrad organisieren, denn den Zipper wollte er nicht am Fahrrad lassen, sonst würde er beschädigt. Mit dem schönen Wochenendticket konnten wir dann von Passau nach Tübingen kommen - sehr preisgünstig. Es dauerte dafür fast den ganzen Tag, weil wir nur die Nahverkehrszüge benutzen konnten. Aber das machte ja nichts.

Als wir dann wieder in der Wildermuthstraße ankamen, wurde wir von unseren Nachbarn Gudrun, Clemens und Philipp freundlich empfangen, fanden alles bestens vor und wurden gleich die ersten Reiseeindrücke los.

Das war eine tolle Reise, Edi und Anne haben sich die ganze Zeit gut miteinander verstanden, was nicht anders zu erwarten war. Und die Palatschinki schmecken nirgendwo so gut wie im Böhmerwald, auch wenn man sie daheim mit viel Liebe nachkocht.

Für den nächsten Fahrradurlaub wäre allerdings ein besseres Training auf Seiten Annes erwünscht. Die hatte danach dann keine Schwierigkeiten mehr mit dem Uniberg, was auch was wert ist.

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