Elektronenholographie mit Neuronalen Netzen

 

 

Materialanalyse an der Grenze der Physik

Dieser Artikel ist erschienen in
Technische Rundschau
1996, Nr. 45

 

 

Eduard Heindl, Rüdiger Meyer

 Die Entwicklung und Analyse von neuen Materialien und Werkstoffen erfordert immer leistungsfähigere Elektronenmikroskope.

Dazu genügt es nicht, die Beschleunigungsspannung immer höher zu Treiben, sonder erst der Einsatz völlig neuer Techniken wie  Holographie und Neuronaler Netze erlaubt einen Informationsgewinn jenseits von bisherigen theoretischen Grenzen. Den Entwickler steht damit ein enorm Leistungsfähiges Analysewerkzeug zur Verfügung.

Entstehung der Phase

 

In der modernen Physik kann man ein Elektron auch als eine Welle auffassen, die sowohl einen Amplitude, eine Wellenlänge als auch eine Phase der Schwingung besitzt. Fliegt ein Elektron sehr nahe an einem positiv geladenen Atomkern vorbei, so findet eine geringfügige Verschiebung der Elektonenphase statt. Sehr ähnlich zu den Phasenverschiebungen die in der Nachrichtentechnik auftreten. Damit in einem TEM atomare Strukturen beobachtet werden können, muss daher die Phase der Elektronenwelle aufgezeichnet werden. Dies war bisher nur durch Ausnutzen von Linsenfehlern möglich (Scherzerfokus), was aber die Aussagekraft der Aufnahmen sehr eingeschränkt hat, da nur bestimmte Raumfrequenzen der Phase sichtbar wurden. Soll die Phase direkt in allen Raumfrequenzen (großflächiger Phasenkontrast) aufgezeichnet werden, benötigt man die Elektronenholographie.


Durchstrahlungs Elektronenmikroskope (TEM) erlauben die Untersuchung von Festkörpern mit atomarer Auflösung. Damit ist es möglich Kristallgefügegrenzen, Hochtemperatursupraleiter und Proteine direkt zu untersuchen. Die Grenzen der bisherigen Mikroskope liegen jedoch in den schwer interpretierbaren Aufnahmen. Der Grund liegt in der Eigenartigen Kontrastentstehung und in Fehlern der Mikroskopoptik.

Der Kontrast in einem TEM

Bei der Durchstrahlung eines sehr dünnen Probe werden nur wenige Elektronen absorbiert oder wesentlich von ihrer Bahn abgelenkt. Das bedeutet aber, dass man im klassischen Sinn ein nahezu transparentes Material vor sich hat. Die Information über das Material wird größtenteils in der Phase der Elektronen gespeichert, die nicht direkt aufgezeichnet werden kann. Erst die Entwicklung der Elektronenholographie ermöglichte die fehlerfreie Aufzeichnung dieser wichtígen Bildinformation.

 

 

Holographie mit Elektronen

Unter Holographie versteht man alle Verfahren, bei denen die vollständige Information über eine Welle, also Amplitude und Phase, aufgezeichnet wird. Alle klassischen Abbildungsverfahren in der Photographie und der Elektronenmikroskopie zeichnen immer nur die Intensität der Welle aber nie die Phase der Welle auf.

Will man die Phaseninformation zusätzlich aufzeichnen, so behilft man sich immer der Interferenz zwischen der Bildwelle und einer ungestörten Welle die der gleichen Beleuchtung entspringt als die Objektbeleuchtung. In der Lichtoptik benutzt man dazu Spiegel oder Prismen, in einem Elektronenmikroskop verwendet man ein Elektronenbiprisma, das die Elektronen so ablenkt, dass nur ein Teil des Elektonenstrahls durch die Probe hindurchtritt, der andere Teil der Elektronenwelle aber ungestört am Detektor ankommt wo dann die Interferenz zwischen Bildwelle und ungestörter Referenzwelle stattfindet. Das entstehende Intensitätsmuster ist ein Interferenzmuster mit feinen nahezu parallelen Streifen, die Informationen über die Amplitude als Kontraständerung des Interferenzmusters beinhalten und der Phase, die als feine Verschiebung der Interferenzstreifen sichtbar wird.

Damit die Erzeugung der Hologramme gelingt, müssen aber noch zwei andere wesentliche Bedingungen erfüllt sein: Die Beleuchtung des Objekts muss kohärent erfolgen und die Anordnung muss während der Aufzeichnung bis in den Bereich der Beleuchtungswellenlänge ruhig sein. Die Kohärenz der Beleuchtung erreicht man in der Lichtoptik durch den Einsatz eines Lasers, der die Bedingung konstante Wellenlänge und parallele Abstrahlung in unübertroffener Weise erfüllt.

HINTERGRUND

Wie funktionieren Neuronale Netze

Nichts hat die Menschheit mehr vorangebracht als ihr gezielter Einsatz des Gehirns, dem grössten und mit Abstand leistungsfähigstem neuronalen Netz. Es liegt daher nahe,  diese Methode der Datenverarbeitung in  der Form von künstlichen neuronalen Netzen nachzuahmen. Diese Form der Datenverarbeitung bewährt sich besonders, wenn schlecht interpretierbare Signale auszuwerten sind.

Analog zu ihrem biologischen Vorbildern bestehen Neuronale Netze aus Einzelelementen, den Neuronen, die mit vielen anderen Neuronen verbunden sind. Während einer Lernphase werden die Verbindungen der Neuronen solange veändert, bis zu jedem vorgelegtem Eingabemuster das passende Ausgabemuster erzeugt wird. Die dazu notwendigen Veränderungen der Verbindungen müssen dazu nach einen geeigneten Algorithmus errechnet werden. Die bekannteste Methode heisst Backpropagation, dabei wird immer die Differenz zwischen gewünschten Ausgabewert und vom Netz gelieferten Ergebnis als Größe für die Gewichtsmodifikation verwendet. Obwohl dieses Verfahren nicht besonders schnell ist hat es sich im praktischem Einsatz als sehr zuverlässig erwiesen.

Wenn das Neuronale Netz mit geeigneten repräsentativen Beispielen trainiert wird, lernt es, daraus allgemeine Gesetzmässigkeiten zu erkennen und ist somit in der Lage zu generalisieren, d.h. auch bei Eingangsmustern, die nicht zum Training verwendet wurden, sinnvolle Ergebnisse zu liefern.

In der Elektronenoptik gibt es aus tiefliegenden physikalischen Gründen keine Laser. Daher behilft man sich mit einer sehr feinen Elektronenquelle, der Feldemission von Elektronen aus einer Wolframspitze. Dabei werden die Elektronen alle aus einem Bereich, der nur wenige Atomabstände gross ist, mit fast gleicher Energie abgestrahlt. Dies führt bei entsprechender Optik ebenfalls zu einen parallelen Elektronenstrahl und bei hinreichender Beschleunigungsspannung im Elektronenmikroskop (300kV) zu einer konstanten Wellenlänge des Elektronenstrahls.

Die stabile Aufzeichnung des Elektronenholograms erfordert eine stabil gelagerte Aufhängung des Mikroskops, einen akustisch gedämpften Raum und sehr stabile Temperaturen und Spannungen im Mikroskop. Diese Bedingungen müssen allerdings ohnehin erfüllt sein, wenn atomare Strukturen direkt abgebildet werden!

 

Bestimmung von Amplitude und Phase

Nach der Aufzeichnung des Elektronenholograms mit einer CCD Kamera wird das Bild digitalisiert und im Rechner weiterbearbeitet. Für die Rückgewinnung der Amplituden und Phaseninformation wird das Hologram fouriertransformiert, dabei erhält man zwei Seitenbänder und die Autokorrelation des Bildes. Ein Seitenband wird isoliert und in den Ortsraum zurücktransformiert. Damit liegt die Information über Amplitude und Phase der Bildwelle vor.

Dieses Verfahren nutzt allerdings nur einen Teil der Information, die im Hologram vorliegt. Eine alternative bei der Auswertung von Hologramme besteht in der Anwendung von Neuronalen Netzen, die aus Beispielhologrammen lernen, welche Amplituden und Phasen im Hologramm vorliegen. Es zeigt sich, dass damit die theoretisch beste Auswertung von Hologrammen ereicht wird.

 

Kleinster sichtbarer Abstand 0.136nm

 

Die Auflösungsmessung im atomarer Grössenordnung ist keineswegs trivial, weil dort keine einfachen Eichmaße vorhanden sind. Ein „Goldstandard“ in der Mikroskopie ist der Abstand von zwei Atomsäulen im Silizium, er beträgt in der [1,1,0] Richtung exakt 0,136 nm. Kann ein Mikroskop diese Atomsäulen getrennt Abbilden, so ist seine Auflösung besser als 0,136 nm. Genau dies wurde durch die Anwendung der Elektronenholographie erstmals mit einem TEM bei 300kV ereicht.

 

Materialfehler direkt sichtbar machen

Die Eigenschaften von Metallen und Legierungen beruhen großteils auf die Grenzen ihrer Kristalle. Dort kommt es zu Ausscheidungen und Versetzungen die das makroskopische Verhalten wie Härte und Formbarkeit bestimmen. Dank der verbesserten Auflösung und durch die getrennte Aufzeichnung von Amplitude und Phase können Modelle direkt mit den Messungen verglichen werden.

 

Leichte Atome in der Phase sichtbar

Die direkte Messung der Phase ermöglicht die Untersuchung von Materialien mit leichten Elementen. So spielt der Sauerstoff als leichtes Element in Hochtemperatur Supraleiter eine wichtige Rolle. Proteine, die wichtigsten Bausteine der Natur bestehen ebenfalls aus leichten Elementen. Es ist gelungen diese Molekule durch Abbildung der Phase direkt sichtbar zu machen. Bisher mussten dazu schweren Elementen, wie Uran, an die Proteine angeheftet  werden. Damit sah man aber nur die Uranatome, nicht jedoch die Proteine direkt.

 

Magnetfelder sind nur in der Phase sichtbar

Die Entwicklung immer leistungsfähigerer Festplatten erfordert eine genaue Analyse der Magnetfelder in den magnetischen Materialien. Selbst schwächste Magnetfelder verursachen noch eine deutlich messbare Phasenverschiebung der Elektronen.

Die Kombination  hoher Vergrösserung und maximaler Phasenempfindlichkeit prädestinieren die Elektronenhlographie zur Untersuchung  von Magnetwerkstoffen. Der genaue Feldverlauf an Magnetpartikel konnte direkt abbildet werden.

Probleme bei der Präperation

Die Leistung der Elektronenholographie ermöglicht prinzipiell die Beobachtung nahezu aller Materialien, ein großes Problem liegt aber in der geeigneten Vorbereitung der Proben.

Biologische Objekte sind sehr Strahlungsempfindlich und müssen daher nahe an den absoluten Nullpunkt abgfekühlt werden um lange genug den Elektronenstahl zu Wiederstehen.

Komplizierte Kristalle dürfen nur kurz der Atmosphäre ausgesetzt werden, die schnelle Präperation erfordert daher ein hohes Geschick des Experimentators.

 Häufig beobachtet man im Mikroskop auch einen amorphen Niederschlag auf der Probe der den freien Blich auf die zu untersuchende Substanz behindert. Mit zunehmender Erfahrung scheinen diese Probleme lösbar und eine breite Anwendung der Elektronenholographie nicht im weg zu stehen.

 

Weitere Arbeiten zur Elektronenholographie auf der Homepage von Dr. Eduard Heindl