Materialanalyse
an der Grenze der Physik
Technische Rundschau
Eduard Heindl, Rüdiger Meyer
Die
Entwicklung und Analyse von neuen Materialien und Werkstoffen erfordert immer
leistungsfähigere Elektronenmikroskope.
Dazu genügt es nicht,
die Beschleunigungsspannung immer höher zu Treiben, sonder erst der Einsatz
völlig neuer Techniken wie Holographie
und Neuronaler Netze erlaubt einen Informationsgewinn jenseits von bisherigen
theoretischen Grenzen. Den Entwickler steht damit ein enorm Leistungsfähiges
Analysewerkzeug zur Verfügung.
Entstehung der Phase In der modernen Physik kann man ein Elektron auch als eine Welle auffassen, die sowohl einen Amplitude, eine Wellenlänge als auch eine Phase der Schwingung besitzt. Fliegt ein Elektron sehr nahe an einem positiv geladenen Atomkern vorbei, so findet eine geringfügige Verschiebung der Elektonenphase statt. Sehr ähnlich zu den Phasenverschiebungen die in der Nachrichtentechnik auftreten. Damit in einem TEM atomare Strukturen beobachtet werden können, muss daher die Phase der Elektronenwelle aufgezeichnet werden. Dies war bisher nur durch Ausnutzen von Linsenfehlern möglich (Scherzerfokus), was aber die Aussagekraft der Aufnahmen sehr eingeschränkt hat, da nur bestimmte Raumfrequenzen der Phase sichtbar wurden. Soll die Phase direkt in allen Raumfrequenzen (großflächiger Phasenkontrast) aufgezeichnet werden, benötigt man die Elektronenholographie. |
Durchstrahlungs Elektronenmikroskope
(TEM) erlauben die Untersuchung von Festkörpern mit atomarer Auflösung. Damit
ist es möglich Kristallgefügegrenzen, Hochtemperatursupraleiter und Proteine
direkt zu untersuchen. Die Grenzen der bisherigen Mikroskope liegen jedoch in
den schwer interpretierbaren Aufnahmen. Der Grund liegt in der Eigenartigen
Kontrastentstehung und in Fehlern der Mikroskopoptik.
Bei der Durchstrahlung eines
sehr dünnen Probe werden nur wenige Elektronen absorbiert oder wesentlich von
ihrer Bahn abgelenkt. Das bedeutet aber, dass man im klassischen Sinn ein
nahezu transparentes Material vor sich hat. Die Information über das Material
wird größtenteils in der Phase der Elektronen gespeichert, die nicht direkt
aufgezeichnet werden kann. Erst die Entwicklung der Elektronenholographie
ermöglichte die fehlerfreie Aufzeichnung dieser wichtígen Bildinformation.
Unter Holographie versteht
man alle Verfahren, bei denen die vollständige Information über eine Welle,
also Amplitude und Phase, aufgezeichnet wird. Alle klassischen
Abbildungsverfahren in der Photographie und der Elektronenmikroskopie zeichnen
immer nur die Intensität der Welle aber nie die Phase der Welle auf.
Will man die
Phaseninformation zusätzlich aufzeichnen, so behilft man sich immer der
Interferenz zwischen der Bildwelle und einer ungestörten Welle die der gleichen
Beleuchtung entspringt als die Objektbeleuchtung. In der Lichtoptik benutzt man
dazu Spiegel oder Prismen, in einem Elektronenmikroskop verwendet man ein Elektronenbiprisma,
das die Elektronen so ablenkt, dass nur ein Teil des Elektonenstrahls durch die
Probe hindurchtritt, der andere Teil der Elektronenwelle aber ungestört am
Detektor ankommt wo dann die Interferenz zwischen Bildwelle und ungestörter Referenzwelle
stattfindet. Das entstehende Intensitätsmuster ist ein Interferenzmuster mit
feinen nahezu parallelen Streifen, die Informationen über die Amplitude als
Kontraständerung des Interferenzmusters beinhalten und der Phase, die als feine
Verschiebung der Interferenzstreifen sichtbar wird.
Damit die Erzeugung der Hologramme
gelingt, müssen aber noch zwei andere wesentliche Bedingungen erfüllt sein: Die
Beleuchtung des Objekts muss kohärent erfolgen und die Anordnung muss während
der Aufzeichnung bis in den Bereich der Beleuchtungswellenlänge ruhig sein. Die
Kohärenz der Beleuchtung erreicht man in der Lichtoptik durch den Einsatz eines
Lasers, der die Bedingung konstante Wellenlänge und parallele Abstrahlung in
unübertroffener Weise erfüllt.
HINTERGRUND Wie funktionieren Neuronale Netze Nichts hat die Menschheit mehr vorangebracht als ihr
gezielter Einsatz des Gehirns, dem grössten und mit Abstand
leistungsfähigstem neuronalen Netz. Es liegt daher nahe, diese Methode der Datenverarbeitung in der Form von künstlichen neuronalen Netzen
nachzuahmen. Diese Form der Datenverarbeitung bewährt sich besonders, wenn
schlecht interpretierbare Signale auszuwerten sind. Analog zu ihrem biologischen Vorbildern bestehen
Neuronale Netze aus Einzelelementen, den Neuronen, die mit vielen anderen
Neuronen verbunden sind. Während einer Lernphase werden die Verbindungen der
Neuronen solange veändert, bis zu jedem vorgelegtem Eingabemuster das passende
Ausgabemuster erzeugt wird. Die dazu notwendigen Veränderungen der
Verbindungen müssen dazu nach einen geeigneten Algorithmus errechnet werden.
Die bekannteste Methode heisst Backpropagation, dabei wird immer die
Differenz zwischen gewünschten Ausgabewert und vom Netz gelieferten Ergebnis
als Größe für die Gewichtsmodifikation verwendet. Obwohl dieses Verfahren
nicht besonders schnell ist hat es sich im praktischem Einsatz als sehr
zuverlässig erwiesen. Wenn das Neuronale Netz mit geeigneten repräsentativen Beispielen trainiert wird, lernt es, daraus allgemeine Gesetzmässigkeiten zu erkennen und ist somit in der Lage zu generalisieren, d.h. auch bei Eingangsmustern, die nicht zum Training verwendet wurden, sinnvolle Ergebnisse zu liefern. |
In der Elektronenoptik gibt
es aus tiefliegenden physikalischen Gründen keine Laser. Daher behilft man sich
mit einer sehr feinen Elektronenquelle, der Feldemission von Elektronen aus
einer Wolframspitze. Dabei werden die Elektronen alle aus einem Bereich, der
nur wenige Atomabstände gross ist, mit fast gleicher Energie abgestrahlt. Dies
führt bei entsprechender Optik ebenfalls zu einen parallelen Elektronenstrahl
und bei hinreichender Beschleunigungsspannung im Elektronenmikroskop (300kV) zu
einer konstanten Wellenlänge des Elektronenstrahls.
Die stabile Aufzeichnung des Elektronenholograms
erfordert eine stabil gelagerte Aufhängung des Mikroskops, einen akustisch gedämpften
Raum und sehr stabile Temperaturen und Spannungen im Mikroskop. Diese Bedingungen
müssen allerdings ohnehin erfüllt sein, wenn atomare Strukturen direkt
abgebildet werden!
Nach der Aufzeichnung des Elektronenholograms
mit einer CCD Kamera wird das Bild digitalisiert und im Rechner weiterbearbeitet.
Für die Rückgewinnung der Amplituden und Phaseninformation wird das Hologram
fouriertransformiert, dabei erhält man zwei Seitenbänder und die Autokorrelation
des Bildes. Ein Seitenband wird isoliert und in den Ortsraum
zurücktransformiert. Damit liegt die Information über Amplitude und Phase der
Bildwelle vor.
Dieses Verfahren nutzt
allerdings nur einen Teil der Information, die im Hologram vorliegt. Eine alternative
bei der Auswertung von Hologramme besteht in der Anwendung von Neuronalen Netzen,
die aus Beispielhologrammen lernen, welche Amplituden und Phasen im Hologramm
vorliegen. Es zeigt sich, dass damit die theoretisch beste Auswertung von Hologrammen
ereicht wird.
Die
Auflösungsmessung im atomarer Grössenordnung ist keineswegs trivial, weil dort
keine einfachen Eichmaße vorhanden sind. Ein „Goldstandard“ in der Mikroskopie
ist der Abstand von zwei Atomsäulen im Silizium, er beträgt in der [1,1,0]
Richtung exakt 0,136 nm. Kann ein Mikroskop diese Atomsäulen getrennt Abbilden,
so ist seine Auflösung besser als 0,136 nm. Genau dies wurde durch die
Anwendung der Elektronenholographie erstmals mit einem TEM bei 300kV ereicht.
Die
Eigenschaften von Metallen und Legierungen beruhen großteils auf die Grenzen
ihrer Kristalle. Dort kommt es zu Ausscheidungen und Versetzungen die das makroskopische
Verhalten wie Härte und Formbarkeit bestimmen. Dank der verbesserten Auflösung
und durch die getrennte Aufzeichnung von Amplitude und Phase können Modelle
direkt mit den Messungen verglichen werden.
Die
direkte Messung der Phase ermöglicht die Untersuchung von Materialien mit
leichten Elementen. So spielt der Sauerstoff als leichtes Element in Hochtemperatur
Supraleiter eine wichtige Rolle. Proteine, die wichtigsten Bausteine der Natur
bestehen ebenfalls aus leichten Elementen. Es ist gelungen diese Molekule durch
Abbildung der Phase direkt sichtbar zu machen. Bisher mussten dazu schweren
Elementen, wie Uran, an die Proteine angeheftet werden. Damit sah man aber nur die Uranatome, nicht jedoch die
Proteine direkt.
Die
Entwicklung immer leistungsfähigerer Festplatten erfordert eine genaue Analyse
der Magnetfelder in den magnetischen Materialien. Selbst schwächste
Magnetfelder verursachen noch eine deutlich messbare Phasenverschiebung der
Elektronen.
Die Kombination hoher Vergrösserung und maximaler Phasenempfindlichkeit prädestinieren die Elektronenhlographie zur Untersuchung von Magnetwerkstoffen. Der genaue Feldverlauf an Magnetpartikel konnte direkt abbildet werden.
Die
Leistung der Elektronenholographie ermöglicht prinzipiell die Beobachtung
nahezu aller Materialien, ein großes Problem liegt aber in der geeigneten
Vorbereitung der Proben.
Biologische
Objekte sind sehr Strahlungsempfindlich und müssen daher nahe an den absoluten
Nullpunkt abgfekühlt werden um lange genug den Elektronenstahl zu Wiederstehen.
Komplizierte
Kristalle dürfen nur kurz der Atmosphäre ausgesetzt werden, die schnelle
Präperation erfordert daher ein hohes Geschick des Experimentators.
Häufig beobachtet man im Mikroskop auch einen
amorphen Niederschlag auf der Probe der den freien Blich auf die zu untersuchende
Substanz behindert. Mit zunehmender Erfahrung scheinen diese Probleme lösbar
und eine breite Anwendung der Elektronenholographie nicht im weg zu stehen.